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Angeklagte wie Ernst Strasser haben in Zukunft mehr Rechte bei der Bestellung von Sachverständigen. Ob ihnen das helfen wird, ist offen.

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Wien - Das Strafprozessänderungsgesetz 2014, das am 1. Jänner 2015 in Kraft tritt, wird die Stellung von Beschuldigten in Wirtschaftsstrafprozessen verbessern. Darüber herrscht Einigkeit. Aber wie viel die Novelle in der Pra- xis tatsächlich bringen wird, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Denn zwei Dinge werden sich ändern: Einerseits erhalten Privatgutachter für die Verteidigung im Hauptverfahren eine größere Rolle. Andererseits ist es nicht mehr der Staatsanwalt allein, der den Sachverständigen im Ermittlungsverfahren bestellen kann. Nach einer vom Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, Eckart Ratz, spät eingeforderten Abänderung der Regierungsvorlage darf die Verteidigung in Zukunft verlangen, dass das Gericht und nicht der Staatsanwalt den Sachverständigen bestellt. Da der Gutachter des Vorfahrens meist dann auch den Richter im eigentlichen Prozess berät, fühlten sich viele Angeklagte dann benachteiligt.

Revolutionär

Für Ratz ist die neue Regelung, in der der Sachverständige auf Antrag der Verteidigung von Anfang an vom Gericht und nicht vom Ankläger geführt wird, "eine echte Revolution". Damit sei die Regelung verfassungs- und menschenrechtskonform und fair, sagt er dem Standard. Ratz rechnet nicht damit, dass es viele solcher Anträge geben wird, weil Sachverständige ohnehin als unabhängig gelten. Aber der Vorwurf, der Berater des Gerichts sei selbst Partei, sei damit nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Klaus Schwaighofer, Strafrechtsprofessor an der Universität Innsbruck, bezeichnet die Neuregelung hingegen als "formales Mäntelchen", um Verurteilungen Österreichs vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EMRG) zu verhindern. Beschuldigte hätten nur 14 Tage Zeit, gegen die Bestellung eines Sachverständigen Einspruch zu erhaben und das Gericht zum Handeln aufzufordern. Ist diese Frist einmal verstrichen, könne man auch gegen einen einseitig argumentierenden Sachverständigen nichts mehr tun. Schwaighofer: "Ich glaube nicht, dass sich in der Sache etwas ändern wird."

"Geschickt gemacht"

Für Schwaighofer war diese Neuerung vor allem ein Versuch, eine Aufwertung von Privatgutachtern zu verhindern, die zur Schaffung von Waffengleichheit von manchen Strafrechtlern gefordert worden ist. "Ratz hat das sehr geschickt gemacht, die Regelung ist EMRK-konform, wenn sie so umgesetzt wird. Aber ich befürchte, dass das Privatgutachten rechtlich bedeutungslos bleiben wird."

Letztlich sieht das auch Ratz so. Er wollte verhindern, dass Richter, die sich in komplexen Materien nicht auskennen, einer Vielzahl von Fachmeinungen ausgesetzt sind, die er nicht bewerten kann. Kontradiktorische Expertenpositionen hätten - anders als in den USA - keinen Platz im kontinentaleuropäischen Rechtssystem. Es dürfe daher nur einen Sachverständigen geben, auf den sich der Richter verlassen kann. "Privatgutachten haben die rechtliche Qualität einer Leuchtreklame, die der Richter auf dem Weg zum Gericht sieht", beschreibt Ratz seine Einschätzung.

Doch auch für die von ihm ungeliebten Privatgutachten wird sich ab 1. Jänner etwas ändern. Nach § 222 Abs. 3 müssen sie in Zukunft in den Gerichtsakt aufgenommen werden, was bisher nicht der Fall war.

Beratung der Verteidigung

Noch wichtiger aber ist die neue Möglichkeit, dass ein Privatgutachter, der die Verteidigung berät, in Zukunft im Hauptverfahren Fragen an den Gerichtssachverständigen richten darf. Darin sieht Erich Kandler, früherer Deloitte-Wirtschaftsprüfer, der nun als selbstständiger Privatgutachter tätig ist, einen großen Fortschritt. Er rechnet mit Streitgesprächen zwischen den Experten, die sehr wohl auf die Meinungsfindung des Gerichts Einfluss haben werden. "Die psychologische Wirkung kann relativ groß sein."

Vor allem aber würden sich Staatsanwälte in Zukunft hüten, Vorwürfe zu erheben, die nicht belegbar sind, meint Kandler. "Derzeit schießt die Staatsanwaltschaft aus allen Rohren und hofft, dass etwas picken bleibt. Doch wenn dort Kollegen sitzen und das infrage stellen, dann werden sich die Sachverständigen das genauer überlegen."

Für Ratz macht das Fragerecht vor allem einen "kosmetischen Unterschied" , aber auch er räumt ein, dass der Privatgutachter etwas aufgewertet wird. "Das hilft ihm, wenn er Fragen stellen darf." (Eric Frey, DER STANDARD, 1.12.2014)