Bild nicht mehr verfügbar.

Besonders das Einstiegsjahr in eine Schul- und Bildungskarriere ist wichtig.

Foto: AP/Widmann

Christian Friesl

Wilke

Die zahlreichen Reaktionen auf das Konzept der Industriellenvereinigung für eine "Bildungsrevolution" zeigen: Österreich bewegt sich in Richtung einer substanziellen Bildungsdiskussion. Genau das war und ist Anliegen des IV-Konzepts "Beste Bildung", das auch eine neue Benchmark für Reformvorschläge setzen wollte. Statt der üblichen Schlagwörter oder punktuellen Forderungen handelt es sich bei "Beste Bildung" um ein integriertes Konzept, das auf klaren, transparenten Zielen basiert. Bildung wird dabei in ihren vielfältigen Dimensionen verstanden: als Beitrag zur Persönlichkeitsbildung, aber auch als beruflicher Erfolgsfak- tor in einer wissensgetriebenen Wirtschaft. Der Überblick über die wichtigsten Diskussionspunkte macht die Anliegen hinter dem IV-Konzept deutlich.

Reife gefragt

  • Bester Start: Die Schule soll weiterhin mit sechs Jahren beginnen, denn für schulisches Lernen brauchen Kinder eine gewisse Reife. Entscheidend ist aber ein möglichst guter, fließender Übergang in die erste Schulphase. Dies soll - in Kooperation zwischen den Schulen und dem Kindergarten - das sogenannte "Startschuljahr" ab fünf Jahren unterstützen. Je problemloser der Start in der Schule glückt, desto besser ist die Basis für den künftigen Schulerfolg.
  • Bildungspflicht: Der Begriff der Schul- bzw. Unterrichtspflicht steht für ein überholtes Verständnis von Bildungszeit. Er fokussiert auf das Absitzen von Zeit in der Schule - und nicht darauf, was Schule inhaltlich fördern und fordern soll. Das Konzept der Bildungspflicht hingegen soll Eltern, Schüler und Lehrer dazu motivieren, sich für eine gelingende Bildungslaufbahn der Kinder einzusetzen. Die Bildungspflicht beginnt mit dem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr und endet mit der mittleren Reifeprüfung, in der Regel wird das mit 14 sein. Die Bildungspflicht ist auch die beste Antwort darauf, dass derzeit tausende Schülerinnen und Schüler pro Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen - und damit eine prekäre Zukunft vor sich haben.

Mehr fördern

  • Differenzierung: Im derzeitigen System werden Talente zu wenig gefördert. Gleichzeitig ist die soziale Selektion groß, weil Österreich - als eines von nur drei Ländern in Europa - früh und oft trennt. Um mehr Spitze und mehr Breite zu erreichen, ist innere Differenzierung der richtige Weg. Deshalb soll künftig ein individualisierter Unterricht, der Talente wie Förderbedarf erkennt, der Vielfalt der Schülerinnen und Schüler gerecht werden. Das IV-Konzept entspricht weder dem klassischen Verständnis noch einer ideologischen Ausrichtung einer Gesamtschule. Der Begriff findet sich im Konzept auch gar nicht. Ziel ist eine gemeinsame Schule von sechs Jahren bis zur mittleren Reife. Der Staat gibt dabei Bildungsziele vor und stellt Finanzen zur Verfügung. Die Schulen entscheiden autonom über pädagogisches Konzept, Personal und Mitteleinsatz, um die notwendige Differenzierung bestmöglich umzusetzen. Dies lässt viele unterschiedliche Schwerpunkte und Schulprofile zu, aber sicher keine "Eintopfschule".
  • Autonomie: Die Balance von staatlicher Verantwortung für Bildung und schulischer Autonomie ist ein wesentliches Kennzeichen des IV-Konzepts. Es wird im "Schulträgermodell" realisiert. Dieses Modell ermöglicht einerseits die finanzielle Gleichbehandlung aller Träger, andererseits sichert es die ordnungs- und bildungspolitisch notwendige Trennung zwischen dem Staat, der die Bildungsverantwortung trägt, und den autonomen Schulen, die für die Umsetzung verantwortlich sind. Das Schulträgermodell ist unverzichtbare Grundlage für schulische Autonomie. Mit einer Privatisierung des Schulwesens hat dieses Konzept freilich nichts zu tun: Der Großteil der Schulträger wird wie bisher aus dem öffentlichen Bereich kommen (Bund, Länder, Gemeinden), und es wird wie bisher private Träger geben. Zwischen ihnen soll in Zukunft aber Fairness in Finanzierungsfragen herrschen. Auch ein Verdrängungswettbewerb zwischen öffentlichen und Privatschulen ist nicht zu befürchten: Das Finanzierungsmodell sieht eine Pro-Kopf-Finanzierung sowie zusätzliches Geld für besondere Herausforderungen vor. Die Erfahrung aus den Niederlanden zeigt, dass die Schulen öffentlicher Träger damit attraktiver werden.

Gesamtpaket

  • System und Kultur: So wichtig ein grundlegendes neues System von Schule für Österreich ist, so klar ist auch, dass erfolgreiche Bildung mehr braucht. Erfolgreiche internationale Schulsysteme zeichnen sich durch ein gut abgestimmtes Gesamtpaket unterschiedlicher Erfolgselemente aus: Dazu zählen eine leistungsförderliche Verwaltungsstruktur, die systemübergreifende Grundphilosophie einer Potenzial- und Qualitätskultur anstelle einer Selektionsorientierung oder ein produktiver Umgang mit (Leistungs-)Heterogenität im Unterricht. Es liegt in der Verantwortung aller bildungspolitischen Stakeholder, diesen Kulturwandel mitzutragen. Das Konzept "Beste Bildung" der Industriellenvereinigung bietet dafür eine gute Basis.

Chance auf Neustart

Nach der ideologischen, ergebnislosen Debatte der vergangenen Jahrzehnte hat Österreich nun die Chance auf eine sach- und zukunftsgerechte Bildungsdebatte und einen bildungspolitischen Neustart. Wir sollten diese Chance nicht an unserem Land vorüberziehen lassen. (Christian Friesl, DER STANDARD, 1.12.2014)