Die Taiwan regierende Nationalpartei Kuomintang (KMT) ist bei den größten Lokalwahlen in der Geschichte der Inselrepublik von 18,5 Millionen Wählern mit einem erdrutschartigen Sieg der Opposition demonstrativ abgestraft worden. Überragender Gewinner der auch als Testwahlen des Verhältnisses Taiwans zu China angesehenen Abstimmung wurde die mehr an Unabhängigkeit von China befürwortende Demokratische Fortschrittspartei (DPP). Wie Taiwans und Hongkongs Presse am Sonntag kommentierten, rückte die DPP wieder auf eine "Pole-Position" ins Rennen für die Präsidentschaftswahlen 2016 und für ihre Rückkehr an die Macht. DPP-Parteiführerin Tsai Ing-wen verkündete Samstag Nacht einer überraschten Öffentlichkeit, dass die Opposition auf einen Schlag 13 von 22 Kreis- und Stadtvertretungen gewinnen konnte. Damit errang sie nicht nur die Mehrheit, sondern gleich doppelt so viele Sitze wie die nur noch sechs Vertretungen verteidigende KMT. Drei weitere Sitze fielen an unabhängige Kandidaten.

Vor der Wahl hatte die KMT 14 der 22 Sitze inne. Als ihren schwersten Einzelverlust büßte sie ihre seit 1998 ununterbrochen ausgeübte Herrschaft über die Hauptstadt Taipeh ein. Dort gewann der Unabhängige Ko Wen-je über den KMT-Kandidaten Sean Lien Sheng-wen, den Sohn des KMT-Ehrenvorsitzenden Lien Chan. Für ihn hatte sich nicht nur KMT-Präsident Ma Ying-jeou in den vergangenen Wahltagen besonders stark eingesetzt, sondern indirekt auch immer wieder Pekings Führung. Sie hofierte seinen Vater als Brückenbauer für eine immer engere Annäherung Taiwans an Peking. Chinas Staatschef Xi Jinping hatte Lien Chan mehrfach empfangen, zuletzt vergangenen Februar in Peking. Xi warnte damals, er hoffe nicht sehen zu müssen, dass "es im derzeit besonders guten Verhältnis Chinas mit Taiwan wieder zu einer Kehrtwendung kommt."

Feindselig

Das aber könnte nun mit dem DPP-Sieg wieder der Fall werden und die gesamte Region in Unruhe versetzen. Seit dem bis heute ohne Friedensvertrag nur eingestellten Bürgerkrieg 1949 stehen sich die Volksrepublik und Taiwan feindselig gegenüber. China sieht Taiwan, mit seiner demokratisch gewählten Inselregierung, das sich offiziell Republik China nennt, nur als ein "Gebiet" und als abtrünnige Provinz des Festlandes an. Pekings Politik verfolgt die friedliche Wiedervereinigung mit Taiwan, behält sich aber auch eine Option auf militärische Gewaltausübung vor, falls sich Taiwan zum unabhängigen Staat erklären sollte. Erst mit dem Amtsantritt von Ma als neuem Präsidenten 2008 entspannte sich auch politisch das beiderseitige Verhältnis. Wirtschaftlich und mit jährlich millionenfachen gegenseitigen Besuchen herrscht dagegen touristisch zwischen China und Taiwan längst Normalität.

Präsident Ma, dessen KMT im Wahlkampf auch ihre zu nachgiebige Chinapolitik vorgeworfen wurde, gestand die verheerende Wahlschlappe ein, ohne dabei auf den Chinaaspekt einzugehen. Er sagte: "Die KMT hat eine riesige Niederlage erlitten. Ich muss mich bei allen Parteimitgliedern und Unterstützern dafür entschuldigen." Er billigte den Rücktritt von Regierungschef Jiang Yi-huah und KMT-Generalsekretär Tseng Yung-chuan, die die politische Verantwortung übernahmen und versprach neue Reformpläne: "Ich habe die Stimmen des Volkes gehört. Ich werde mich meiner Verantwortung für diesen Rückschlag stellen."

Innenpolitische Krise

Die KMT hat nun eine parteiinterne und innenpolitische Krise zu verkraften. Zugleich erlitt auch Chinas Taiwan-Politik einen schweren Rückschlag. Peking vermeldete die Resultate der Taiwanwahlen am Sonntag nur über seine Nachrichtenagentur Xinhua. Die zentralen Rundfunk- und Fernsehnachrichten gingen bis Mittag nicht darauf ein. Drei Tage vor der Wahl hatte der Sprecher des Taiwanbüros unter dem Staatsrat bereits angekündigt, dass die Regierung offiziell die Wahlen nicht kommentieren würde. Zu dem Zeitpunkt hatten Chinas Taiwanexperten zwar Verluste der Kuomintag-Regierung erwartet, aber nicht mit einem derartigen Denkzettel gerechnet.

Die DPP konnte dagegen das beste Wahlergebnis bei Regionalwahlen seit ihrer Gründung 1986 erzielen. Die Partei erklärte schon früher, im Fall ihrer Regierungsübernahme 2016 nicht für eine formal erklärte Eigenstaatlichkeit von Taiwan eintreten zu wollen. Chinas Regierung hatte nach eigener Aussage gedroht, diese als Kriegserklärung zu betrachten.

Umarmungstaktik Chinas

Doch die Fortschrittspartei macht sich für einen Kurs der Unabhängigkeit von Peking stark und hält auf Distanz zum chinesischen Wiedervereinigungsanspruch. Ihr hoher Wahlsieg wurde von Wahlanalysten auf Taiwan und in Hongkong auch als Absage an die Umarmungstaktik von Chinas Staatschef Xi gewertet. Seit seinem Amtsantritt drängte er auf frühzeitigere Aufnahme von Verhandlungen zur Wiedervereinigung mit Taiwan und auf eine engere wirtschaftliche Verzahnung mit dem Festland. Peking löste mit entsprechenden Abkommen, darunter einer umstrittenen freihandelsähnlichen Vereinbarung, die die Regierung Ma unterzeichnete, eine Serie heftiger Proteste auf Taiwan aus.

Die DPP warf Ma vor, sich in wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu begeben. Das Misstrauen gegen die Volksrepublik hatte Peking jüngst mit seiner Politik der harten Ablehnung und Bevormundung der Rechte Hongkonger Bürger noch verstärkt, als es ihnen verbot, 2017 in wirklich freien Wahlen ihren eigenen Verwaltungschef zu bestimmen. Nirgendwo wurden die dadurch provozierten Proteste Hongkonger Schüler und Studenten so aufmerksam verfolgt wie auf Taiwan.

Lokale Gründe

Für den herben Wahlverlust der KMT spielten nach Angaben taiwanesischer Beobachter aber auch lokale Gründe eine Rolle, vor allem die schwächelnde Wirtschaft, Skandale bei der Sicherheit der Nahrungsmittel, mißlungene Erziehungsreformen und sich verschärfende Sozialkonflikte. Rund 18, 5 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, die Kandidaten für 11.130 Sitze in sämtlichen Gemeinderäten des Landes und erstmals zugleich in lokalen Regierungspositionen neu zu besetzten. Die regionale Abstimmung wurde von der "Taipeh Times" eine "Ohrfeige" für Präsident Ma und ein Referendum gegen die KMT- Regierung genannt. (Johnny Erling, DER STANDARD/Langfassung, 30.11.2014)