Von den Genossen selbst wurde diese Wahl zur Schicksalsentscheidung stilisiert: Mit 84 Prozent erhielt Werner Faymann am Freitagabend bei der Wahl zum SPÖ-Chef erneut einen Denkzettel und hat die intern vorgegebene Latte – ein Neuner muss vorne stehen – klar gerissen.

Die Schuldsuche hatte schon vor dem Parteitag begonnen: Die zu wenig tiefe Stimme könnte der Grund sein, warum Faymann bei den Genossen nicht so beliebt sei, war einer der Erklärungsversuche, die der oberösterreichische SPÖ-Chef Reinhold Entholzer im STANDARD-Interview anbot. "Der Werner wirkt oft noch ein bisschen jugendlich" der andere. Es sei nicht einfach, in die eigene Gemeinde heimzukommen und zu sagen: "Ja, ich hab für den Faymann gestimmt", klagte der Gewerkschafter. Dann komme die Antwort: "Du feiger Hund, hättest ihm doch eine aufgelegt."

Faymann bemühte sich im Vorfeld, ja alles richtig zu machen und alle zufriedenzustellen: Er tourte durch Bundesländer und Organisationen. Der Regierungschef übernahm das Steuerkonzept von ÖGB und Arbeiterkammer, ohne daran einen Beistrich zu ändern. Der Kanzlerparteichef nahm damit in Kauf, dass man sich fragt, ob in der SPÖ oder in seinem Kabinett gar kein wirtschaftspolitischer Sachverstand mehr vorhanden ist, wenn sogar die Erstellung eines politischen Konzepts ausgelagert werden muss. Wer keine eigenen Ansprüche hat, braucht nur die anderer zu übernehmen.

Rhetorisch versucht sich Faymann schon länger als Robin Hood der Armen zu etablieren: her mit der Millionärssteuer, Hände weg von Pensionen. Die Präsentation der Reformkommission just wenige Tage vor dem Parteitag bot die willkommene Gelegenheit, gegen die Pensionsautomatik zu wettern und sich als Politiker mit menschlichem Antlitz zu präsentieren.

Seit seinem Amtsantritt versucht Faymann, mit simplen Botschaften das Herz der Wählerinnen und Wähler zu erobern. Doch Wahlergebnisse zeigen, dass ihm das nicht so recht gelingen will. Die SPÖ kommt in Umfragen derzeit nur auf Platz zwei oder sogar drei, im direkten Vergleich mit dem nunmehrigen Vizekanzler Reinhold Mitterlehner von der ÖVP schneidet Faymann schlechter ab als im Wettstreit mit dessen Vorgänger Michael Spindelegger.

Von seiner Umarmungsstrategie wurden auch die Frauen nicht verschont, denen eine Quotenregelung mit Durchgriffsrecht für die Bundespartei versprochen wurde – nachdem ein Wiedereinzug der widerspenstigen Abgeordneten Sonja Ablinger gemeinsam verhindert worden war.

Anbiederung statt Angriffe, die Partei als Partie: Der Kuschelkurs, den Faymann bereits in Wien als Stadtrat praktiziert hat, scheint selbst seinen Genossen nicht mehr geheuer. Die Frage, wofür Faymann steht, ist auch nach sechs Jahren Kanzlerschaft und SPÖ-Führung nicht zu beantworten. Denn kritischen Interviews im ORF oder in Qualitätszeitungen weicht Faymann aus, dafür begibt er sich mit dem Kurier auf Buch-Promotiontour.

Faymann setzt – nicht zuletzt mit Inseraten auf Kosten der Steuerzahler – auf Boulevard und Populismus. Dennoch schafft es der Obergenosse nicht, Breitenwirkung zu erzielen und zumindest unter den Sozialdemokraten populär zu werden: Es fehlt ihm und der Partei an Substanz, mit der sich positive Zukunftserwartungen verbinden lassen. So bleibt vielen Genossen nur der Blick in die glanzvolle Vergangenheit. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 28.11.2014)