Wien – Es war ein zähes Ringen um das Wahlergebnis für den Vorsitzenden. Werner Faymann, der 2012 mit 83,4 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis erzielt hatte, sprach von einer "kleinen Verbesserung". Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos verteidigte die 84 Prozent in der ZiB2 als "in einer Demokratie nicht schlecht", auch wenn er selbst gerne ein besseres Ergebnis gesehen hätte.

Und dabei waren es nicht einmal soviel: Offenbar unter der Devise "Aufrunden, bitte" hat die SPÖ ihrem Vorsitzenden Werner Faymann ein etwas besseres Ergebnis zugeschrieben, als es ihm die Delegierten beim Parteitag in Wien Freitagabend zugedacht haben. Nicht wie öffentlich erklärt 84 Prozent holte der Kanzler bei seiner Wahl zum Parteichef sondern bloß knapp 83,9 Prozent, wie sich aus den Detailergebnissen ergibt.

Faymanns vom Wiener Landtagspräsidenten Harry Kopietz am Parteitag verkündetes Ergebnis bei der Wahl zum Präsidium war das einzige, bei dem eine runde Zahl, nämlich genau 84 Prozent herauskam. Sieht man sich allerdings die Detail-Zahlen an, hat man es mit Faymann da wohl zu gut gemeint. Denn gültig waren die Stimmen von 590 Abgeordneten, 495 davon entfielen auf Faymann. Diese 95 Streichungen ergeben ein Ergebnis von 83,898 Prozent.

So reagierte Faymann auf das Wahlergebnis.
derstandard.at/von usslar

Während die arrivierten Parteifunktionäre einer nach dem anderen die Geschlossenheit der Partei heraufbeschworen und an die Delegierten appellierten, Werner Faymann nicht abzustrafen, sparte die Parteijugend nicht mit Kritik – an der Partei und ihrer Struktur, an den nicht umgesetzten Inhalten und eben auch an Werner Faymann.

Gleich beim Eingang der Wiener Messehalle hatte sich der Verband der roten Studenten mit einer meterlangen To-do-Liste für SPÖ-Chef Faymann postiert. "Statut einhalten", stand da drauf, "Frauenquote", "Mietrechtsreform", "Vermögenssteuern" und, und, und. Nur ein einziger Punkt war abgehakt: "Kanzler stellen". VSStÖ-Vorsitzende Rasha Abd El Mawgoud erklärte dem STANDARD: "Wir streichen den Werner, weil wir das Gefühl haben, dass es in den letzten Jahren zu einem Stillstand gekommen ist – in der Hochschulpolitik, in der Frauenpolitik, in der Sozialpolitik."

Zu Faymanns Unterstützern zählte der EU-Abgeordnete Eugen Freund.
derstandard.at/von usslar

"Den Werner streichen" heißt, dem SPÖ-Chef bei seiner Wiederwahl die Gefolgschaft zu verweigern. Gründe dafür wurden viele genannt, und Faymann musste fürchten, wie schon beim Parteikonvent vor zwei Jahren - damals erhielt der SPÖ-Chef das historisch schlechte Ergebnis von 83,4 Prozent – noch einmal abgestraft zu werden.

Gewerkschafter Michael Fertl sieht die SPÖ als große Familie, die zusammenhalten muss. Faymann bekommt "natürlich" seine Stimme.
derstandard.at/von usslar

Faymann selbst startete mit einem fast flehentlichen Appell: "An unserer Geschlossenheit werden wir keinen Zweifel lassen!" In einem historischen Rückblick geißelte der SPÖ-Chef dann den Neoliberalismus und fand nach komplizierten Ausführungen schließlich zu einer einfachen Aussage: "Die Menschen sind mehr wert als die Banken und Finanzdienstleister, die wir gerettet haben." Die Sozialdemokratie müsse alles daran setzen, die konservative Mehrheit in Europa zu brechen, um eine gerechtere Politik durchzusetzen.

Der Bürgermeister von Traiskirchen, Andreas Babler, kündigte an dem Kanzler nicht mehr seine Stimme zu geben. Nur Rhetorik reiche der SPÖ nicht mehr.
derstandard.at/von usslar

Auch alte Schreckgespenster wurden vom Kanzler drohend an die Wand gemalt: "Stellt euch vor, aber nur für eine Sekunde, damit euch nicht schlecht wird", richtete Faymann sein Wort an die 616 Delegierten, "Schwarz-Blau hätte eine Mehrheit und jetzt, in der Krise, das Sagen. Das haben wir verhindert, und das werden wir verhindern!" Dafür gab es verlässlich Applaus im Saal.

Besonders der Umgang mit Lohn- und Vermögenssteuer hindern den ehemaligen SJÖ-Vorsitzenden Wolfgang Moitzi an der Wiederwahl.
derstandard.at/von usslar

Und Faymann wandte sich auch seinem aktuellen Koalitionspartner zu. Die ÖVP unter Reinhold Mitterlehner sei keine andere geworden, warnte er, daher könne er nicht versprechen, was er alles durchsetzen werde. Klar sei aber: "Die Millionäre müssen einen Beitrag leisten!" Die Menschen wollten diese Gerechtigkeit, "diese Menschen dürfen wir nicht enttäuschen, wir verhandeln hart, wir verhandeln gemeinsam, und wir wissen ganz genau, was das Ziel ist". Wer es jetzt nicht verstanden hatte: "Vermögensgerechtigkeit ist unser Ziel."

EU-Abgeordneter Jörg Leichtfried gibt Faymann eine gute Bilanz. Er befindet allerdings, die SPÖ muss sich europapolitisch weiter öffnen.
derstandard.at/von usslar

Faymann endete wieder bei der Geschlossenheit. "Verlassen können wir uns auf uns selbst." Die Stärke liege in der Gemeinsamkeit, in der Partei. Faymann wandte sich noch einmal direkt an die Delegierten: "Ich weiß, ich kann mich auf euch verlassen. Und ihr wisst, dass ihr euch auf mich verlassen könnt."

Gemeinderat Udo Hebersberger wurde bei seiner Rede laut. Heftige Kritik übte er am Kanzler, weil dieser sich nicht stark genug für die Vermögenssteuer einsetzte.
derstandard.at/von usslar

Bei der anschließenden Debatte drehten die Jungsozialisten auf. Der Niederösterreicher Boris Ginner sagte: "Wir sind nicht auf einem Festival der Geschlossenheit." Er sprach die schlechten Wahlergebnisse und die Nichteinhaltung der Wahlversprechen an: "Wir brauchen keinen ÖVP-Django, wir brauchen einen richtigen Django!"

SJ-Chefin Julia Herr hielt Faymann in Anspielung auf die seit 2010 versprochenen Vermögenssteuern entgegen: "Das, was man auf Wahlplakate schreibt, muss man umsetzen. Wenn uns die Glaubwürdigkeit fehlt, nimmt uns niemand ernst!" Auch dafür spendeten die Delegierten anerkennenden Applaus.

Julia Herr, Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, forderte bereits vor zwei Jahren eine neue Organisationsstruktur in der Partei. Deswegen zieht sie eine negative Bilanz und scheut auch die öffentliche Kritik gegen die eigene Partei nicht.
derstandard.at/von usslar

Die ehemalige Abgeordnete Sonja Ablinger, beim Streit um das Erbe des Mandats von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer ausgebootet, stellte fest: "Der Zustand der Partei muss dramatisch sein, wenn man permanent von Geschlossenheit redet. Dieses Hochjazzen der Geschlossenheit ist einer Partei wie der Sozialdemokratie unwürdig." Ablinger kritisierte diese "Fassade der Geschlossenheit" und sprach es ganz offen an: "Mein Vertrauen hast du nicht, Werner."

Die ehemalige oberösterreichische SP-Frauenchefin Sonja Ablinger kündigte an, Werner Faymann nicht zu wählen. Besonders scharf kritisiert sie den EU-Fiskalpakt.
derstandard.at/von usslar

Fiona Kaiser, wie Ablinger aus Oberösterreich, ging es noch heftiger an. Sie warf der SPÖ vor, "Steigbügelhalter des Neoliberalismus" zu sein, und beklagte die "großkoalitionäre Kuschelromantik". Es sei ein Fehler, dass der Parteitag auf das Wahlergebnis reduziert werde und dass es offenbar nur um die Prozente für den Parteichef gehe, da bliebe die inhaltliche Diskussion auf der Strecke.

Fazit bei der Abstimmung: ein ähnlich mageres Ergebnis für Faymann als Parteichef wie vor zwei Jahren – und zwar 83,9 Prozent. Er versprach, Überzeugungsarbeit zu leisten. Zuvor war SPÖ-Frauenchefin Gabriele Heinisch-Hosek bei der Frauenkonferenz mit 85,7 Prozent abgestraft worden. 2012 hatte sie 97,8 Prozent Zustimmung.

Und zu guter Letzt wie alles begann.
derstandard.at/von usslar

(Michael Völker, Nina Weißensteiner, Katrin Burgstaller, Maria von Usslar, DER STANDARD, 28.11.2014)