Steuersenkung! Dieses Thema hat die Gewerkschaft der SPÖ vorgegeben, und Vorsitzender und Kanzler Werner Faymann hat es auch am Parteitag inhaltlich 1:1 übernommen und in den Mittelpunkt gestellt. Richtig daran ist, dass die Steuerlast zu hoch ist, denn die kalte Progression frisst jeden Lohnzuwachs weg, und der "Einstiegssteuersatz" von 36,5 Prozent ist eine Frechheit.

Allerdings vermeiden die synchronisierten Steuersenker von ÖGB und SPÖ (ebenso wie die von der ÖVP, die ihr Modell allerdings erst vorstellen wollen) peinlich, eine zweite, fast noch belastendere Abgabenquelle anzurühren: die Sozialversicherungsbeiträge.

Die Lohnsteuer machte 2003 rund 18 Milliarden aus und ist bis 2013 um 42 Prozent auf 25,7 Milliarden gestiegen (im ersten Halbjahr 2014 legte sie noch einmal um 5,6 Prozent zu). Die Sozialversicherungsabgaben hingegen sind in diesem Zeitraum (2003-2013) um 44 Prozent gestiegen: von 33,1 Milliarden auf 47,6 Milliarden.

Inzwischen legt man bei einem Monatseinkommen von 1500 brutto rund 8100 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen pro Jahr ab, aber nur 1100 Euro Lohnsteuer.

Dies hat den Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes, Karl Aiginger, zu dem Vorschlag bewogen, die Kurve der Sozialabgaben, die schon bei der Geringfügigkeitsgrenze (395 Euro) beginnen, abzuflachen. Das ist sinnvoll, denn jene rund 2,7 Millionen, die überhaupt keine Lohn- und Einkommensteuern zahlen, weil sie unter der Steuerfreigrenze von 11.000 Euro jährlich liegen, blechen sehr wohl Sozialabgaben. Und sie werden durch eine Steuersenkung nicht entlastet. Außer, wenn sich das ÖGB-Modell einer "Negativsteuer" (Zahlungen für Steuerbefreite) durchsetzt.

Warum will der ÖGB lieber eine Subventionierung der Steuerbefreiten als eine Senkung der Sozialabgaben? Weil Letztere das Volumen des "Sozialversicherungskomplexes" schmälern würde, in dem Funktionäre gewaltige Imperien aufgebaut haben. Weniger Sozialbeiträge würden auch zu mehr Kostenbewusstsein und zu weniger Spielräumen für Sozialpartnerfunktionäre führen. Die "Negativsteuer" müsste der Finanzminister zahlen.

Selbstverständlich gibt es auch schwarze Funktionäre im Sozialversicherungskomplex, und die Versicherungen der Selbstständigen, der Bauern und der Beamten bilden auch eigene Reiche. Über die gewerbliche Sozialversicherung (SVA) beschwerten sich besonders viele kleine Selbstständige (Einpersonenunternehmen - EPUs), weil hier erstens die Selbsthalte höher sind und zweitens kleine Startunternehmen sofort die volle SV-Vorschreibung draufkriegen. Hier wurde zuletzt allerdings einiges gemildert.

Diskussionswürdig ist aber nach wie vor, ob die Sozialabgaben so hoch sein müssen und ob hier nicht Sparpotenzial wäre. Kleiner Tipp: Ist es notwendig, dass etwa die Wiener Gebietskrankenkasse 2012 für 2376 Personen rund 44,5 Millionen Zusatzpensionen bezahlte? Also im Durchschnitt 18.700 Euro pro Person und Jahr zusätzlich zur gesetzlichen Pension. Analoge Privilegien gibt es übrigens im gesamten Sozialversicherungsbereich.(Hans Rauscher, DER STANDARD, 29.11.2014)