Ernst Brauner ist ein fleißiger, fruchtbarer Schriftsteller. Zehn, eventuell sogar zwölf Bände soll die vom Wieser-Verlag geplante Gesamtausgabe von Werken Brauners umfassen, der vormals lange Jahre als Chefredakteur des Österreich-Stern und als Verlagsleiter von Gruner und Jahr in Wien tätig war. Neben seiner Arbeit als Journalist und Manager hat Brauner aber stets auch literarisch geschrieben, bereits 1961 den frühen Roman Schalen des Zorns, der sich mit dem Algerienkrieg befasst.

Brauners letztes Buch, Parallelwelten, ist, im Vergleich etwa zu seiner ausladenden Familienchronik Die Mühlfelds aus dem Jahr 2011, schmal an Umfang, erhält aber ein Konzentrat aller Themen, die Brauner schon in seinen vorherigen Werken umgetrieben haben. Die Parallelwelten heben mit der schönen Schilderung eines Traums vom Fliegen an (oder ab). Der Protagonist Hans-Hermann erkennt zu einer Zeit, da er sich "noch auf der Höhe seines Lebens fühlt", dass ihm dieser Traum, in verschiedenen Variationen, immer schon ein konstanter Begleiter war: "Unveränderlich gleich war das Abheben von der Erde: ein paar Schritte, irgendwo, irgendwohin, zuerst einige wenige kleine, dann immer größere, schließlich weit ausladende, wippende Sprünge, immer seltener den Boden berührend, ihn gleichsam nur noch streichelnd. Dann das endgültige Abheben."

Allein, dem sehnsuchtsvollen Zug nach oben wirkt ein Moment der Erdenschwere entgegen, welches der an Lebensjahren fortgeschrittene Hans-Hermann deutlicher zu spüren bekommt: Zustände der Müdigkeit und Lustlosigkeit machen ihm zu schaffen, ebenso Krankheiten, deren Auswirkungen sich nicht mehr so ohne weiteres negieren lassen.

Diesen Einschränkungen begegnet Hans-Hermann mit gesundem Realismus, aber auch mit einer intensiven Sehnsucht, diesem begrenzten einen Leben mehr Breite und Tiefe zu geben, indem er quasi andere Leben geistig mitlebt: Diese parallelen Leben, die "Parallelwelten", sind das eigentliche Thema des Buches, das in verschiedenen Bereichen - einem komplexen Familiengeflecht, Freundschaften und Mann-Frau-Beziehungen, aber auch im Verhältnis zu den vielen, in die Gegenwart hereinwirkenden Vergangenheiten - durchdekliniert wird. Die Fähigkeit, sich in andere Leben einzuleben, ist dabei eine Prärogative des Schriftstellers, für den "ich" nicht nur "ein anderer" ist. Sein "Ich" ist auch "viele".

Immer wieder macht aber das eine Leben seine Härten geltend. Als er von einem befreundeten Arzt mit der Diagnose einer Krankheit konfrontiert wird, die man mit einem "schrecklichen Wort" bezeichnet, erlebt Hans-Hermann in einer berührend geschilderten Szene überwältigende, lange nicht mehr empfundene Gefühle der Trauer und Verzweiflung. Doch auch diese schwärzesten Momente bleiben, wie im "richtigen" Leben, nicht unwidersprochen. So wirkt es denn auch nicht erzwungen, sondern wie eine durchaus realistische Hommage an die Ambivalenzen der Existenz, wenn die Parallelwelten mit einer optimistischen Note schließen: in der Einsicht nämlich, dass die Hoffnung auf das Fliegen immer bleiben wird. "Und er fliegt, fliegt, fliegt - mit weit ausgebreiteten Schwingen, ohne ein Ende fürchten zu müssen." (Christoph Winder, Album, DER STANDARD, 29./30.11.2014)