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Immer wieder wird der Wert eines Menschenlebens als statistische Größe herangezogen.

Foto: Reuters/Pascal Rossignol

Stellen Sie sich vor, Sie gehen auf ein Konzert mit 10.000 Besuchern. Es besteht die Gefahr, dass eine Person das Event nicht überlebt. Wie viel würden Sie dafür bezahlen, um sichergehen zu können, dass doch alle gesund nach Hause gehen?

Mit solchen und ähnlichen Fragen versuchen Forscher, den statistischen Wert eines Menschenlebens zu berechnen. So zum Beispiel der schwedische Gesundheitsökonom Mikael Svensson. Er forscht mit der Willingness-to-Pay-Methode, versucht also herauszufinden, wie viel wir für die Rettung eines Menschenlebens und folglich Sicherheitsvorkehrungen bei einem Konzert bezahlen würden. Dabei fragt er die Studienteilnehmer jedoch nie direkt nach dem Wert des eigenen Lebens. "Unser eigenes Leben ist den meisten von uns unendlich viel wert", sagt Svensson.

Unterschiedliche Werte

Um an brauchbare Zahlen zu kommen, müsse er indirekt vorgehen. Zum Beispiel, indem er den Teilnehmern ein Medikament vorstellt, das die Lebensdauer um eine bestimmte Zeit verlängern kann. Dann lässt er die Befragten entscheiden, wie viel der Staat dafür ausgeben sollte, dieses Medikament zu entwickeln, und rechnet diese Antworten hoch. Aber auch mit dieser Methode treten Probleme auf, gesteht Svensson: "Wir wissen ungefähr, wie viel wir für einen Kaffee bezahlen würden. Aber im Alltag geht man ja nicht herum und kauft sich ein bisschen Gesundheit. Mit solchen Kaufentscheidungen haben wir keine Erfahrung. Wir neigen dazu, mehr anzugeben, als wir tatsächlich bezahlen würden."

Für Svensson sind solche Verzerrungen mit ein Grund dafür, weshalb Forscher zu den unterschiedlichsten Werten für ein statistisches Leben kommen. Für eine Studie hat er die Ergebnisse seiner Kollegen verglichen: Der höchste Wert lag bei rund fünf Millionen Euro, der niedrigste bei 633 Euro. Dabei handelt es sich allerdings um statistische Ausreißer, der Median liegt bei rund 24.000 Euro, bei einer erweiterten Berechnung bei rund 74.000 Euro. Svensson betont, dass es sich hierbei um den statistischen Wert eines Lebens handelt, nicht um den Wert eines sogenannten "identifizierten Lebens": "Wenn jemand in einer Kohlemine gefangen ist und der Sauerstoff knapp wird, spielt dieser Wert keine Rolle. Dann würden wir alles daran setzten, diese Person zu retten, egal wie teuer es wird."

Trotz aller statistischen Unsicherheiten und der geringen gesellschaftlichen Akzeptanz für das Bewerten von Menschenleben gibt es Institutionen, die sich auf einen Wert geeinigt haben und diesen für ihre Entscheidungsfindung verwenden. Vor allem im Transportwesen wird oft gegengerechnet: Angenommen, es gibt ein bestimmtes Straßenstück, auf dem viele Unfälle passieren. Weiß man, dass es weniger Todesfälle gäbe, wenn die Straße verbreitert wird, so können die Kosten für den Umbau mit dem statistischen Wert der geretteten Leben verglichen werden.

Werte ändern sich laufend

In Europa werden solche Kosten-Nutzen-Berechnungen vor allem in Großbritannien, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern gemacht. Auch in den USA wird auf Basis solcher Berechnungen entschieden. Zum Beispiel in der Bundesluftfahrtsbehörde, dem Verkehrsministerium oder der Umweltschutzbehörde, welche den Wert eines statistischen Lebens in erster Linie dazu verwendet, sich auszurechnen, wie viele Leben durch geringere Luftverschmutzung gerettet werden könnten. Sie alle verwenden verschiedene Werte, und diese ändern sich auch.

Als die Umweltschutzbehörde 2003 ihre Werte neu definierte, führte dies zu einem Skandal: Der Wert eines statistischen Lebens von über 70-jährigen Personen wurde mit rund 1,85 Millionen Euro um 37 Prozent niedriger angesetzt, als jener von jungen Menschen. Dieser "Senioren-Discount" sorgte für einen medialen Wirbel, der schlussendlich dazu führte, dass die Behörde die Werte wieder anglich und der Hauptverantwortliche zurücktrat.

Bessere Entscheidungen

Auch Svensson ist bewusst, dass sein Forschungsfeld oft auf Unverständnis stößt. Er glaubt aber, dass die Willingness-to-Pay-Methode dazu beiträgt, in Anbetracht beschränkter Budgets bessere Entscheidungen treffen zu können. Wolfgang Fellner von der Wirtschaftsuniversität Wien sieht das anders: "Die Frage ist doch, wovon wir uns als Gesellschaft leiten lassen wollen. Ob jemand mit 80 Jahren noch eine Hüftoperation bekommt, oder nicht, ist doch eigentlich eine ethische Frage."

Die Willingness-to-Pay-Methode mache aus gesellschaftspolitischen Fragen eine Rechenaufgabe. Eine Rechnung könne jedoch keine politische Diskussion über soziale Werte ersetzen, ein Geldbetrag kein Argument. Schon gar nicht, wenn es um Themen wie Umwelt und Gesundheit gehe. Dieser Meinung ist auch der Umweltökonom Clive Spash. Die Willingness-to-Pay-Methode sieht er als ein Instrument, das es Politikern ermöglicht, im Nachhinein Entscheidungen zu legitimieren, die in einem Hinterzimmer ausgehandelt wurden. (Sonja Spitzer, Portfolio, DER STANDARD, 2014/2015)