Jean-Claude Juncker ist an sich ein brillanter Redner. Aber in dieser Plenarwoche des Europaparlaments hatte er Pech. Er musste seinen Investitionsplan zur Schaffung von mehr Wachstum und Jobs am Mittwoch vortragen - einen Tag zu spät. Am Dienstag war in Straßburg bereits ein anderer zu Wort gekommen: Papst Franziskus.

Der Mann, der 2013 aus Südamerika nach Rom kam, gab den Europäern eine grandiose Lektion. Er rückte ins Zentrum, worum es im Leben, im Staat, in der Gemeinschaft in erster Linie geht: um den Menschen, seine Würde, sein Recht darauf, in Freiheit und Glück zu leben. Das war spannend für Gläubige wie Ungläubige. Franziskus wandte sich fragend ans Publikum: Wie soll jemand, der keine Arbeit, keine Nahrung, keine Ruhe mehr hat, in Würde leben? Wieso wächst die Einsamkeit in Europa, bei den Alten, den Jungen ohne Job und Perspektive? Es sind ziemlich viele.

Juncker sah daneben richtig alt aus, obwohl gerade er sich für eine soziale Politik ausspricht. Aber die gegenwärtige Sprache in Europas Politik ist von Begriffen wie Investitionen, Kapital und Garantien, Finanzhebel und Projektsicherheit, von Sparen geprägt. Die Regierungen, die Skeptiker begannen sofort, die Schwächen des Plans zu zerpflücken. Darin besteht das ganze Elend der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Feige, unentschlossen, mut- bis ratlos wird dahinadministriert. Selten taucht die Frage auf, wie es den Menschen geht und was sie brauchen. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 27.11.2014)