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Die Stunde des vermeintlichen Triumphs: Wiktor Juschtschenko (Mitte rechts) und Julia Timoschenko (Mitte links) nach Juschtschenkos Sieg bei der Stichwahl von Dezember 2004

Foto: AP Photo/Ivan Sekretarev, File

Die Massendemonstration an diesem 22. November 2004 war ein Aufschrei der Empörung. Zehntausende Menschen protestierten gegen das Wahlergebnis vom Vortag, das ihrer Meinung nach gefälscht worden war, um das korrupte System am Leben zu erhalten. Die Wahlkommission wollte trotz offensichtlicher Unregelmäßigkeiten Wiktor Janukowitsch, den Wunschkandidaten des scheidenden Präsidenten Leonid Kutschma, zum Sieger der Stichwahl erklären.

Während Russlands Präsident Wladimir Putin Janukowitsch bereits gratulierte, wollte der unterlegene Oppositionskandidat Wiktor Juschtschenko sich noch nicht geschlagen geben und rief seine Anhänger auf die Straße.

Und die Ukrainer folgten seinem Ruf - nicht nur an diesem 22. November: Zwei Wochen lang trotzten sie friedlich der Kälte und dem massiven Polizeiaufgebot, ehe die Obrigkeit einknickte und eine Wiederholung der Stichwahl anordnete. Wer in diesen Tagen den Menschen auf dem Maidan begegnete, spürte ihre Entschlossenheit, aber auch ihre Freude und Hoffnung auf das Ende von Korruption und Oligarchie; eine Hoffnung, die so süß war wie der Saft der Orange, die zum Symbol der Revolution wurde.

Tatsächlich siegte Juschtschenko kurz darauf bei der Wiederholungswahl deutlich. Seine Einpeitscherin auf dem Maidan, Julia Timoschenko, machte er zur Premierministerin. Unter dem Slogan "Mehr Freiheit und Demokratie" ließ er seine Vollmachten als Präsident zugunsten des Parlaments beschneiden und das Wahlgesetz ändern, um Manipulationen zu verhindern.

Schnelle Ernüchterung

In Europa wurde er als prowestlicher Staatschef hofiert. Selbst als Kandidat für den Friedensnobelpreis war er im Gespräch.

Die Euphorie wich schnell der Ernüchterung: Die nahe Verwandte der Orange ist die Grapefruit. Äußerlich sieht sie ihr ähnlich, doch im Gegensatz zu dieser ist sie bitter und in der Mitte oft ein bisschen hohl. So ähnlich verhielt es sich auch mit dem Führungstandem der Orangen Revolution.

Schon bald waren Juschtschenko und Timoschenko in einen öffentlich ausgetragenen Machtkampf verwickelt. Uneinigkeit über die Wirtschafts- und Sozialpolitik, aber auch die Befriedigung persönlicher Ambitionen und das Streben nach finanziellen Vorteilen führten zu einem andauernden Zerwürfnis.

Beide Seiten diskreditierten die jeweils andere mit Korruptionsvorwürfen. In der Schlangengrube mittendrin ein gewisser Petro Poroschenko - damals Chef in Juschtschenkos Sicherheitsrat und heute dessen Nachfolger -, den Timoschenko der Bestechlichkeit bezichtigte. Ihr selbst wurde übrigens der Versuch vorgeworfen, sich bei der Verstaatlichung eines Metallkonzerns bereichern zu wollen.

Bereits nach acht Monaten feuerte Juschtschenko seine Premierministerin. Dass er sie 2007 erneut ernannte, war keine Geste der Versöhnung, sondern ein Zeichen der Schwäche des Präsidenten. Während der gesamten Amtszeit kooperierten die beiden Politiker nicht miteinander, sondern blockierten einander - am auffälligsten und verheerendsten beim Gasstreit mit Russland zum Jahreswechsel 2008/2009, der am Ende zu einer Kiewer Schlappe in den Verhandlungen und einem Preisanstieg für die Ukraine führte.

Weder die Korruption wurde beseitigt noch die soziale Ungerechtigkeit. Wirtschaftlich war es eine Ära der Stagnation - und so waren am Ende viele Ukrainer nicht einmal unglücklich, dass Janukowitsch 2010 doch noch Präsident wurde. Dessen noch unverfrorene Klientelpolitik führte freilich dann zu neuen Protesten.

Widerstand im Osten

Die Enttäuschung über den Verlauf der Orangen Revolution jedoch hat maßgeblich zum Widerstand von Bevölkerungsteilen, speziell im Osten des Landes, gegen eine weitere Politrevolte geführt. Dort wird Janukowitschs Sturz nur als ein mit einer nationalistischen Komponente versehener Austausch russlandnaher, vom Westen gestützter Oligarchen verstanden. Es ist ein schweres Erbe, das die Orange Revolution hinterlassen hat.

Es ist aber auch eine Lektion, aus der das Tandem Poroschenko und Premier Arsenij Jazenjuk lernen könnte, die beide Führungsanspruch erheben. Schon der Machtkampf ihrer Vorgänger hatte üble Folgen für die Ukraine. In der jetzigen Lage wäre das Voranstellen persönlicher Interessen für das ganze Land fatal. (André Ballin, DER STANDARD, 21.11.2014)