Bild nicht mehr verfügbar.

Abdirizak Bihi kümmert sich um Jugendliche in Minneapolis. Sportstätten wie diese und Nachmittagsbetreuung gebe es zu wenig, beklagt er.

Foto: AP / Craig Lassig

Minneapolis / New York – Ein junger Mann aus Chicago, der im Oktober mit einem Austrian-Airlines-Ticket in der Hand eben noch am Flughafen gestoppt werden konnte; drei Mädchen, die in Frankfurt auf dem Weg nach Syrien festgehalten wurden; vier junge Frauen aus Minneapolis, die vermutlich schon im Irak sind, verheiratet mit islamistischen Kämpfern.

Es sind noch Einzelfälle, die in den US-amerikanischen Medien rauf- und runterberichtet werden. Im Vergleich mit Europa, von wo aus rund 3000 Menschen in den Jihad aufgebrochen sein sollen, ist das Phänomen der Foreign Fighters mit geschätzten 130 ausgereisten Personen in den USA ein vergleichsweise kleines.

Doch woran liegt das? Und wie lange können die amerikanischen Behörden noch darauf vertrauen, dass sich amerikanische Muslime weniger für radikalislamistische Ideen begeistern lassen?

Bessere Bildung, bessere Chance

Marc Sageman, ehemaliger CIA-Offizier und Autor des Buches "Leaderless Jihad: Terror Networks in the Twenty-First Century", unterscheidet zwei Gruppen Muslime in den USA. "Der Großteil hat eine höhere Bildung, weit bessere Aussichten auf beruflichen Erfolg und hat weniger Diskriminierung erfahren als Zuwanderer in Europa", führt der Terrorismus-Experte aus.

Diese Gruppe sei daher kaum für extremistische Strömungen empfänglich. "Die Integration von Muslimen in Amerika funktioniert besser als in Europa."

Anders verhalte es sich mit der Generation, die nach den Terroranschlägen von 2001 in Amerika aufgewachsen ist: "Viele Ermittlungen haben sich gezielt gegen junge Muslime gerichtet. Es gibt eine kleine Gruppe, die Misstrauen und Demütigung erlebt hat und sich ausgegrenzt fühlt", warnt Sageman.

Erfolg je nach Herkunft

Entfremdung ist der Nährboden für radikale Gedanken. "Sich einer islamistischen Terrorgruppe anzuschließen ist nicht religiös motiviert, sondern das Resultat einer Identitätskrise – in Europa genauso wie in Amerika", sagt Sageman.

Laut einer Studie des PEW Research Center haben Muslime in den USA fast die gleichen Chancen auf ein Haushaltseinkommen von 100.000 US-Dollar im Jahr wie andere Amerikaner auch – allerdings bestimmt die Herkunft den Erfolg der Integration.

Anders sieht es bei den aus Zentral- und Ostafrika stammenden Muslimen aus: In Minneapolis im Bundesstaat Minnesota leben mit rund 120.000 Angehörigen die meisten Somalier in den Staaten. Überdurchschnittlich viele Jugendliche sind arbeitslos, haben keinen Schulabschluss und kaum Perspektiven.

Schon 2007 wurden hier 23 junge Männer von der Terrorgruppe al-Shabaab für den Bürgerkrieg in Somalia rekrutiert. Die wenigsten kamen zurück. Abdirizak Bihi ist einer der Community-Leader in Minneapolis. Sein Neffe war einer der jungen Männer, die sich nach Somalia locken ließen und dort erschossen wurden. Seither hat Bihi sein Leben dem Kampf gegen Terroristen gewidmet.

Keiler, die auf Beute warten

Jeden Nachmittag besucht er die Plätze, wo die Burschen rumhängen. Bihi redet mit ihnen, aber eigentlich beobachtet er die Männer, die neuerdings umherschleichen und die Jugendlichen in Gespräche über ihren Glauben verwickeln wollen. "Ein Kampf gegen Windmühlen", seufzt Bihi. Etwa 40 junge Männer aus der Gegend sollen bereits in Syrien sein.

Bihi fordert Nachmittagsbetreuung, Ausbildungsprogramme, ein Gemeindezentrum. Somalische Schüler würden von Lehrern gehänselt, erzählt er, aber keiner höre ihm zu.

Erst mit dem Verschwinden vier junger Frauen im Herbst erwachte das nationale Interesse für die Sorgen der somalischen Community. "Diese Entwicklung ist doch nicht neu", regt Bihi sich auf. "Seit Jahren predige ich, dass wir etwas tun müssen. Unsere Jugendlichen fühlen sich chancenlos."

Am 7. November besuchte Heimatschutzminister Jeh Johnson die Stadt und forderte die Bewohner dazu auf, verdächtige Mitmenschen den Behörden zu melden. "Sie helfen uns, Ihnen zu helfen - ich betrachte das nicht als Petzen", führte Johnson aus.

Sorge vor Vorverurteilung

Das Justizministerium verkündete ein Pilotprojekt in Minneapolis, Los Angeles und Boston. "Sie haben versprochen, uns einzubeziehen", sagt Bihi, "aber bis jetzt ist nichts passiert."

Vielmehr befürchten Bürgerrechtsorganisationen wie die American Civil Liberties Union, dass unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung ganze Communitys aufgrund ihrer Religion oder Ethnie überwacht und verdächtigt werden dürfen. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 18.11.2014)