Steven Chu, der erste Physiker, der US-Energieminister war, besitzt neben viel Wissen auch Humor: "Einer meiner Vorgänger war Zahnarzt. Der verstand wenigstens ein bisschen was vom Bohren."

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Wien - Da wechselt endlich einmal ein Topforscher in die Politik - und dann das: Ein gutes Jahr, nachdem Steven Chu 2009 als US-Energieminister unter Präsident Barack Obama angelobt worden war, passierte eine in dieser Dimension nie dagewesene Katastrophe: Im April 2010 versank die Bohrplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko, riesige Mengen Öl flossen ins Meer.

Dass Chu der erste Minister der USA war, der einen Physik-Nobelpreis gewonnen hatte (1997 für das Kühlen und Einfangen von Atomen mit Laserlicht), sollte sich als Glücksfall herausstellen. Der Forscher schlug den verdutzten Experten des Öl-Multis BP vor, das Innere des defekten Druckventils mithilfe von Gammastrahlen zu durchleuchten. Nach anfänglicher Skepsis der Fachleute sollte sich die Idee als höchst hilfreich erweisen. Die Zeitung "Washington Post" kommentierte daraufhin trocken: "Es hilft, Genies um sich zu haben."

Als Steven Chu am Donnerstag bei einer Diskussion an der TU Wien gefragt wurde, ob es für seine Tätigkeit als Energieminister womöglich ein Nachteil gewesen sei, aus der Physik zu kommen, sparte er diese Anekdote aus. Er habe sich umgekehrt gefragt, warum seine Vorgänger keine Forscher gewesen seien, antwortete Chu. Das Energieministerium sei der größte Fördergeber für Forschung im Bereich der Physik. Ironische Nachbemerkung: "Einer meiner Vorgänger war Zahnarzt. Der verstand wenigstens ein bisschen was vom Bohren."

Chu, der 2013 freiwillig aus der Regierung Obama ausschied, war nicht nur der erste Physiker, der den US-Energiesektor leitete. Seit Benjamin Franklin, der 1750 den Blitzableiter erfand, war er überhaupt der erste Naturwissenschafter in einer Regierung der Vereinigten Staaten. Und auch dazu hatte Chu eine kleine Pointe parat: "Franklin war klüger als ich, weil er die meiste Amtszeit in Paris verbrachte."

Der Sohn eines aus China stammenden Akademikerpaars, das am MIT in Cambridge studierte, war dieser Tage auf Einladung des Vienna Center for Quantum Science and Technology für einige Vorträge in Wien, um über mögliche Lösungen für die Energie- und Klimaprobleme des 21. Jahrhunderts zu diskutieren.

Kompetenter Pragmatiker

Die realistischsten Hoffnungsszenarien für Chu, der nicht erst seit seiner Tätigkeit als Energieminister als extrem kompetent und pragmatisch gilt, gründen sich auf die großen Fortschritte insbesondere bei Erzeugung von Energie aus Sonne und Windkraft. Diese erneuerbaren Energien würden sich dadurch weiter verbilligen, und es sei abzusehen, dass Windenergie laut Chu in nicht allzu ferner Zukunft selbst in den USA weniger kosten werde als Erdgas.

Wie in allen anderen Wirtschaftsbereichen sei auch im Energiebereich die Kostenfrage - also die weitere Verbilligung erneuerbarer Energie - entscheidend. Im Moment allerdings sei in den USA die Versuchung groß, weiterhin auf fossile Energieträger zu setzen: Dank Fracking und anderer neuer Fördertechnologien ist Erdgas in den USA vier- bis fünfmal billiger als in Europa. Die Vorräte im Boden würden "für den größten Teil dieses Jahrhunderts reichen", ist sich Chu sicher.

Andere Vorschläge und Szenarien des Physikers würden in Österreich wohl auf weniger Akzeptanz stoßen: Um den Kohlendioxid-Ausstoß und die Klimaerwärmung aufzuhalten, führt für Chu vorerst kein Weg an der sogenannten CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage) vorbei, die er bereits 2009 in einem Kommentar in der Fachzeitschrift Science empfohlen hatte. Dabei wird das bei Kohlekraftwerken oder in der Industrie anfallende CO2 in unterirdischen Lagerstätten gespeichert, um so zu verhindern, dass die Emissionen in die Atmosphäre gelangen.

In Österreich ist diese Technologie ebenso öffentlich geächtet und verboten wie Kernkraftwerke. Doch auch Atomenergie werde man im 21. Jahrhundert in bestimmten Ländern wohl noch brauchen, so Chu, da global betrachtet ein 100-prozentiger Umstieg auf erneuerbare Energieträger im 21. Jahrhundert unrealistisch sei. Und auch in dem Zusammenhang konnte sich der Physiker eine kleine Spitze nicht verkneifen: Physikalisch betrachtet beruhe ja auch Sonnenenergie letztlich auf Atomkraft.

In England hingegen, von wo Chu gerade kam, gebe es viel Widerstand gegen Windkraftanlagen, was der Physiker noch weniger verstehen kann: "Ich finde Windkraftanlagen sehr schön", sagt Chu, nachdem er von über 100 Meter hohen Türmen mit Rotorblättern, größer als die Flügel des Airbus A380, geschwärmt hat. "Ich weiß schon, dass nicht jeder so denkt. Aber wir können uns sicher darauf einigen, dass Windturbinen besser aussehen als Kohlekraftwerke."

Fixpreis für Kohlendioxid

Wenn er eine nur einzige Maßnahme zur Verhinderung des Klimawandels durchsetzen könnte, wäre das allerdings eine ökonomische: Ein Fixpreis für Kohlendioxid, in etwa 50 Euro pro Tonne. "Das würde sehr viel ändern und vor allem viel Geld für Innovationen bringen."

Seit mehr als einem Jahr ist der 66-Jährige wieder als Forscher an der Universität Stanford tätig und arbeitet unter anderem an der Verbesserung von Lithium-Eisensulfid-Batterien. Womöglich war er es auch etwas müde, als Energieminister ständig darüber diskutieren zu müssen, ob es den Klimawandel überhaupt gibt - und nicht über mögliche Gegenmaßnahmen. Doch auch an der Front tue sich was. Sogar in der Mineralölindustrie gebe es nun Leute wie Rex Tillerson, den CEO von ExxonMobil, die sich der Klimaproblematik bewusst seien: "Tillerson gibt zu, dass der Klimawandel passiert und von Menschen gemacht ist. Das ist ein riesiger Fortschritt!" (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 15.11.2014)