Fernsehen am Samstagnachmittag: "Im Zweier bringen sie 'Im Weißen Rössl' . Derselbe Schmarrn. Waltraut Haas und Peter Alexander anfangs wie Katz und Maus. Am Ende das glücklichste Paar."

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Ich sitze im Park auf meinem Sonnenbankerl. Vor mir trippeln ein paar Tauben auf und ab, als übten sie eine Choreografie ein. Ich verhalte mich still und sehe dem Schauspiel zu. Eine Taube tritt aus der Übungsformation aus und kommt nah an mich heran, legt den Kopf schief und sieht mich an, als wollte sie mich kennenlernen. Was will sie von mir? Warum gerade diese Taube? Warum ausgerechnet ich? Ich frage mich, warum ich mich immer so viel frage. Die Taube tänzelt im Wackelschritt davon, weg auch von den anderen Tauben, als gehörte sie nicht dazu, als sei sie aus einem anderen Stück.

Ich gehe auch. Es ist Zeit für meine Mittagspause. Mein Rücken verlangt nach seiner Erholung im Liegen. Schuld sind L4 und L5. Sie haben die Bandscheibe aufgerieben und sind zusammengewachsen, bilden einen Block. Wie üblich schalte ich den Fernseher an. Zappe mich zu den gewissen Sendern, wo mittags die gewissen Spielfilme laufen. Wo gewisse SchauspielerInnen wie die Neubauers, Rauchs, Beutlers, Dohms und Hehns in Rollen zu sehen sind, die sich gewisse Autorinnen wie die Danellas, Heldts, Pilchers und Schönauers ausgedacht haben. Auffallend gewisse Muster. Gleich zu Beginn treffen da zum Beispiel immer der männliche Held und die Heldin zusammen, und können sich so etwas von überhaupt nicht leiden. Je mehr sie sich anfangs anfeinden, umso sicherer kann man sein, dass sie sich am Ende kriegen.

Mir ist das schleierhaft. Im Leben läuft das doch anders. Liebe auf den ersten Blick und so. Wollen zwei ein Paar werden, geht's doch um Sympathie, um das angenehme Äußere, um einen zuvorkommenden Umgang. Aber nicht um offene Ablehnung oder gar Anfeindung, Hass. Was versprechen sich die Courths-Mahler-Epigoninnen davon, dass jene, die beim ersten Kennenlernen wie Hund und Katz sind, am Ende ein Paar werden? Das ist doch so etwas von durchschaubar. So etwas von öde. Nimmt doch dem Ganzen die Spannung. Und außerdem ist es doch lebensfremd. Im richtigen Leben läuft's doch umgekehrt. Erst die große Liebe. Erst dann kippt's womöglich, sobald es an die Scheidung geht, beginnt der Rosenkrieg.

Es ist erst ein Jahr her. Da hat sich Gertrud in einem langen Schachtelsatz verloren. Seitdem spricht sie nur das Nötigste, ist verkrampft, sobald sie nur den Mund aufmacht. Oft sind es nur Einwortsätze. Wörter der Ablehnung, des Abwiegens, der Zustimmung. Wenn sie spricht, dann mit einer fiepsig-heiseren Stimme und mit einem Lächeln, das aus zwei Falten um die Nase herum besteht. Das Lächeln, die Falten bleiben, auch wenn das, was gesagt wurde, schon gesagt worden ist. Dann zuckt sie mit den Schultern, tut so, als wär sie verspannt, und müsste sie sich zurechtrecken. Erst wenn sie die Schultern wieder fallen lässt, ist für Gertrud das Gespräch zu Ende, das Lächeln fort.

Der Schinken im Zweier

Den Schachtelsatz, in dem sie sich seinerzeit verheddert hat, den hat sie schon lange vergessen. Irgendetwas mit einem Mann. Oder war es etwas mit einem Buch? Gertrud und ich wären einmal fast ein Paar geworden. Ab und zu treffen wir uns noch. Wir sitzen im Schanigarten eines Innenstadtcafés. Was tut sich, woran arbeitest du zurzeit, will sie wissen. Ich bin jetzt Sexist, lache ich, erzähle ihr, dass ich aus meinem Lehrerjob gemobbt wurde, weil eine Kollegin, der gegenüber ich die Bemerkung einer Dritten, dass die Soundso nie einen Mann abbekommen würde, zitierte, mir in den Mund geschoben hat. Und jetzt? Ich züchte Hamster und organisiere Exkursionen zu den Feldhamstern nach Stammersdorf. In Wien heute brachten sie einen Vier-Minuten-Beitrag. Und davon kann man leben? Ich lenke ab: Aber weißt du, was mich noch mehr beschäftigt? Und ich erzähle ihr von meiner Katz-und-Maus-Frage, die mich im Moment umtreibt. Gertrud schaut, den Mund leicht geöffnet. Sie zuckt mit den Achseln: "Vielleicht, weil ...", sie lässt die Schultern fallen. "Warum willst du das wissen?" "Ach, nicht so wichtig."

Samstagnachmittag. Im Zweier bringen sie Im weißen Rößl. Derselbe Schmarrn. Waltraut Haas und Peter Alexander anfangs wie Katz und Maus. Am Ende das glücklichste Paar. Ich rufe Kurt an. Kurt ist mein bester Feund. Ich kenne ihn nicht, also nicht so, wie ihn alle kennen. Kurt erzählt allen, dass er Regisseur ist. Film, Theater. Nur ich weiß, dass das nicht stimmt. Schaust auch grad den Schinken im Zweier? Ich hab Besseres zu tun. Hab ich dich gestört? Nein, nein, was gibt's?! Ich stell auch ihm die Katz-und-Maus-Frage. Er scheint so gar nicht interessiert zu sein, und sagt: Interessant, wie kommst du drauf? Ich will ihm schon von meinen Lendenwirbeln erzählen, da schlägt er vor: Komm doch vorbei. Adrian ist gerade vorbeigeschneit. Du erinnerst dich doch an ihn? Unser verhinderter Serienstar. Wir köpfen einen Roten und reden über die alten Zeiten.

Für Adrian sind Kopfschmerzen niemals nur Kopfschmerz. Jedes Pochen, Drücken oder Brummen kann Vorbote des Todes sein, seines Todes. Am liebsten sieht Adrian Arzt- und Krankenhausserien im Fernsehen. Da lebt er richtig mit. Was da an Krankheiten vorkommt, nimmt er gerne an, glaubt in den leisesten Anzeichen Symptome dieser Krankheiten zu erkennen. Was du dir immer einbildest, meckert dann immer seine Frau. Jeder Mensch kann im Leben etwas besonders gut, Adrians Standardrechtfertigung: "Ich kann eben besonders gut Arztserien schauen."

Arztserien. Das ist mein Stichwort. Als zu vorgerückter Stunde alle nur noch reden, um uns im Nachhinein überrascht zu zeigen, was wir geredet haben, stell ich Kurt und Adrian meine Katz-undMaus-Frage. Kurt faselt etwas von Deinesorgenmöchtichhaben: Ich frag mich, warum du dich das fragst. Ich will ihm schon etwas über L4 und L5 erzählen, da setzt Adrian zu einer Zwei-Minuten-Geschichte an, die aber dann ganze zehn Minuten dauert.

Ich kannte mal eine Anna. Mit 35 - platsch: Gehirntumor. Operation, Chemo, Glatze, Perücke. Angelte sich einen feschen Manager, Versicherungsheini oder so. Trafen sich immer in einem Hotel. Er wusste nichts über ihren kahlen Kopf. Und Anna nichts von seiner Ehefrau und den beiden Kindern. Sie waren einander bei einer Vernissage vorgestellt worden. Er kam ihr mit einem blöden Anmachspruch. Sie mit einer übertrieben lebendigen Verhaltenslosigkeit. Aus der Galerie wurde ein Kino. Aus dem Kino ein Kaffeehaus. Aus dem Kaffeehaus ein Stundenhotel. Sie hatten sich vorgenommen, keine Fragen zu stellen. So wie diese Streru..., diese Autorin, die in ihren Romanen und Geschichten keine Fragezeichen verwendet. Keine Fragen. Keine Antworten. Keine Zweifel. Sie wollten es so. Jetzt. Und von Moment zu Moment. Sie hatten nichts zu verlieren. Und wenn sie nicht gestorben sind, spottet Kurt.

Nein, hör zu, Blödmann, was ich sagen will: Was ist das Gegenteil von Anziehung? Wurscht. Was ich sagen will: Am besten ist, man weiß voneinander nichts. Versteht ihr, absolut nichts. Nur Zukunft. Nichts als Zukunft. Dieser Orpheus, zurückgeschaut hat er. Und schon war's aus und geschehen.

Zeit für meine TV-Stunde

Nächsten Morgen um 12 Uhr werde ich unsanft geweckt. Telefon. Meine Bankberaterin. Ob ich um 14 Uhr Zeit hätte. Der Stadtdirektor käme die Zweigstelle besuchen: Und da sollte alles nach, Siewissenschon, aussehen. Na gut. Punkt zwei bin ich gestellt. Ich, der Kundenstatist: Und? Sie: Ja, wir führen jetzt ein Beratungsgespräch. Also wir tun so. Wie geht's Ihnen? Der Stadtdirektor lässt auf sich warten. Uns geht der Gesprächsstoff aus. Wissen Sie, beginnt dann die Beraterin nach einer längeren Pause, in der sie mir Kaffee nachschenkt, ich war und bin ja immer lieber die Zweite. Ich hätte schon eine Zweigstelle übernehmen können. Aber ich bin geblieben, hier und als Stellvertreterin des Vorstands.

Aha, ich tu so, als wollt ich's wissen. Ja, aus der zweiten Position hat man immer den besseren Überblick, die Entscheidungen, die man trifft, kommen irgendwie souveräner.

Und was halten Sie von Frauen, welche sich in der Rolle der Geliebten eines verheirateten Mannes gefallen? Die Bankerin stutzt, läuft rot an, und meint: Ohne Zweite gäb es auch keine Erste. Ich schau auf ihr Namensschild. Nein, ihr Vorname ist nicht Anna. Endlich: der Stadtdirektor.

Auf dem Nachhauseweg schau ich Frauen, die mir begegnen, prüfend an. Keine, die mir so unsympathisch ist, dass ich sie näher kennenlernen möchte. Es ist Zeit für meine Siesta und meine TV-Stunde. L4 und L5 brauchen es. (DER STANDARD, 15.11.2014)