In Sachen Diabetes-Therapie könnte amerikanischen Wissenschaftern ein großer Wurf gelungen sein.

Foto: lukas friesenbichler

So klingen Geschichten, wie sie üblicherweise nur von Hollywood-Drehbuchautoren geschrieben werden: Der Wissenschafter Doug Melton erfährt, dass bei seinem kleinen Sohn Sam Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde, und widmet seine Karriere der Heilung dieser bisher als unheilbar geltenden Krankheit. 23 Jahre später findet er die Lösung - und produziert mit einem Team am Harvard Stem Cell Institute in Cambridge bei Boston insulinproduzierende Betazellen, die nach der Transplantation in die Bauchspeicheldrüsen von diabetischen Mäusen deren Blutzuckerspiegel kontrollieren.

Durchbruch gelungen

Das klang zunächst einmal nach einer Sensation. Die Medien überschlugen sich in begeisterten Schlagzeilen: "Die Heilung von Typ-1-Diabetes steht unmittelbar bevor", war da zu lesen. "Laborzellen könnten helfen, Typ-1-Diabetes zu heilen." Selbst in vergleichsweise zurückhaltenden Schlagzeilen war deutlich mehr Hoffnung enthalten, als Melton und sein Team in ihrem Cell-Paper anklingen ließen.

Dennoch gelang den Wissenschaftern ein Durchbruch, was man nur verstehen kann, wenn man weiß, was die Heilung des Typ-1-Diabetes bisher unmöglich machte: Man spricht bei Diabetes von einer Autoimmunerkrankung, weil der Körper die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse für Fremdkörper hält und zerstört.

Neu diagnostiziert wird nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, wie man lange Zeit annahm, sondern auch bei Erwachsenen. Über die auslösenden Faktoren ist man sich nicht im Klaren, wahrscheinlich gibt es ein Bündel von Ursachen: Umweltfaktoren, Ernährung, Infektionskrankheiten, psychische Schocks, aber auch Diabetes in der Familie könnten bei der Entstehung eine Rolle spielen.

Die Betazellen sind irreparabel. Die Betroffenen müssen lebenslang künstliches Insulin spritzen, um die gefürchteten Diabetes-Spätfolgen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Blindheit hintanzuhalten. Seit die Wissenschaft versucht, die Entwicklung von bestimmten Zellen aus Stammzellen zu programmieren, versucht sie natürlich auch Betazellen herzustellen, um damit möglicherweise einmal den Typ-1-Diabetes heilen zu können. Doch das ist technisch gar nicht trivial.

35 Tage Produktionszeit

Melton und sein Forscherteam haben embryonale Stammzellen und aus den Hautzellen gewonnene, in der Entwicklung zurückversetzte Zellen (induzierte pluripotente Zellen) durch fünf verschiedene Wachstumsfaktoren und weitere elf chemische Zusätze gesteuert. Die Produktion dauerte, Medienberichten zufolge, immerhin 35 Tage, lieferte aber pro 500 Milliliter Zellansatz 200 Millionen Betazellen. Das sollte nach Angaben der Forscher eigentlich genügen, um einen Patienten zu behandeln. Weitere Versuche mit Primaten sind offenbar schon angelaufen.

Der Medienhype um Doug Melton, dessen jüngere Tochter mittlerweile auch Typ-1-Diabetes hat, weckte schon kritische Stimmen. "Man sollte in diesem Zusammenhang nie über Heilung sprechen und keine verfrühten Hoffnungen machen", schreibt zum Beispiel Paul Knoepfler, Stammzellforscher an der University of California, auf der Blog-Plattform Science 2.0. Es seien noch viele Fragen offen. Erfolgreiche Mausversuche würden beim Menschen häufig nicht zum Ziel führen.

Die Arbeit der Harvard-Wissenschafter sei bemerkenswert, müsse aber im größeren Kontext betrachtet werden, denn weltweit würden viele Wissenschafter an einer künftigen Behandlung von Typ-1-Diabetes arbeiten. Auch Meltons Team sei im vergangenen Jahr ein ähnlich großer Wurf, ebenfalls als Cell-Paper, gelungen: Damals entdeckten sie ein Hormon, das Zellen dazu anregt, sich zu Betazellen zu entwickeln. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 14.11.2014)