Steigende und fallende Blutzuckerwerte fordern die Wissenschafter bei der Entwicklung neuer und besserer Medikamente.

Foto: lukas friesenbichler

Eines Tages ist es so weit: Die Bauchspeicheldrüse schwächelt, schafft die Insulinproduktion nicht mehr. Dabei gibt es zwei Ursachen. Beim Typ-1-Diabetes, der meist im Kindes- und Jugendlichenalter auftritt, hat ein Autoimmun-Defekt die Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört. Beim viel häufigeren Typ 2 - früher Altersdiabetes genannt - ist meist das Übergewicht schuld. Denn die mit dem Menschen älter werdende Bauchspeicheldrüse produziert weniger Insulin, und zusätzlich erschweren verfettete Zellen und zu viel Kalorienaufnahme die Wirkung des Hormons.

Mögliche Folgeschäden

Die Folgen sind unterschiedlich. Junge Diabetiker verhungern durch den Insulinmangel quasi bei lebendigem Leib und entdecken deshalb auch rasch durch die Symptome großer Durst, vermehrter Harndrang und permanente Erschöpfung ihre Erkrankung.

Anders beim Typ 2. Er bleibt durchschnittlich sieben Jahre lang unbemerkt, verursacht keine Schmerzen, doch seine Wirkung im Körper ist dramatisch. Oft wird erst nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall der bereits bestehende Diabetes entdeckt. Aber auch Erblindungen, Erektionsstörungen, schlecht heilende Verletzungen (vor allem an den Füßen) und Schädigungen am Nervensystem können die Folgen sein.

Lebensretter Insulin

Bis vor etwa 90 Jahren waren Erkrankte unwiderruflich todgeweiht. Doch dann entdeckten die kanadischen Forscher Frederick Banting, John Macleod und Charles Best das lebensrettende Hormon in Schweine- und Rinderkörpern - die Insulintherapie war erfunden. Heute wird das Hormon nicht mehr aus Tieren, sondern aus Hefepilzen gewonnen, die in Hightech-Anlagen gentechnisch gezüchtet, dann vermehrt und schließlich "abgeerntet" werden.

Der einzige Nachteil der lebensrettenden Therapie: Insulin kann dem Körper bisher ausschließlich per Injektion zugeführt werden, weil die Salzsäure des Magens das sensible Hormon in einer Tablette zerstören würde. Doch das soll sich, wenn es nach den Forschern geht, schon bald ändern.

Neue Hormone im Visier

In den letzten Jahren wurden zwei weitere Hormone entdeckt, die ebenfalls im komplexen Verdauungssystem des Menschen eine wesentliche Rolle spielen. Die Glucagon-Like-Peptide (GLP1) und die Sodium Glucose Co-Transporter-2 (SGLT2). Sie sind als orale Antidiabetika bereits seit einigen Jahren erfolgreich im Einsatz. Die Tabletten unterscheiden sich aber doch deutlich in der Wirkungsweise.

GLP1 stimuliert die Insulinproduktion in den Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Es senkt die Produktion von Glucagon in den Alphazellen der Bauchspeicheldrüse. Glucagon selbst setzt Glucose (Traubenzucker) aus der Leber frei. Darüber hinaus verzögert es die Entleerung des Mageninhaltes in den Darm und stimuliert das Sättigungsgefühl.

Anders bei SGLT-2 (Sodium-Glucose linked transporter 2). Dabei handelt es sich um ein Eiweiß. Ist es aufgrund einer erblichen Störung nicht funktionsfähig, finden sich bei betroffenen Personen hohe Zuckerwerte im Urin, ohne dass sie durch einen hohen Blutzuckerspiegel verursacht wurden. Das machen sich die SGLT-2-Hemmer zunutze: Der Blutzuckerwert wird gesenkt, gleichzeitig verliert man Gewicht - überschüssiger Zucker und Kalorien werden einfach weggepinkelt. Mittlerweile sind beide Substanzklassen gut erforscht, und bislang gibt es keinerlei Hinweise auf unerwünschte Nebenwirkungen, vor allem keine der gefürchteten Unterzuckerungen (Hypoglykämien).

Forschung und Weiterentwicklung

Für die Pharmafirmen liegen die nächsten logischen Weiterentwicklungen daher auf der Hand. Beim dänischen Pharmakonzern Novo Nordisk forscht man daran, wie man einerseits fixe Kombinationen von Insulin und dem GLP1 in einer einzigen Injektion verabreichen kann, und andererseits, wie man die beiden empfindlichen Substanzen unbeschadet durch das Salzsäurebad des Magens transportieren kann.

Dazu experimentieren die Forscher nicht nur mit einer Pillenpresse, die mit 8,5 Newtonmeter die Wirkstoffe verdichtet. Eine noch im Entwicklungsstadium befindliche Beschichtung der Tabletten soll nicht nur zusätzlichen Schutz bieten, sondern auch am richtigen Ort - am Anfang des Dickdarms - die Wirkstoffe freisetzen.

Bei Eli Lilly in den USA geht man ähnliche Wege. Dort will man das selbst entwickelte Gliflozin - so der Name für die SGLT-2-Substanzen - in Kombination mit dem relativ altgedienten Metformin - vermarkten. Vor Kurzem wurde dafür von der US-Arzneimittelbehörde FDA die Zulassung erteilt. Parallel dazu entwickelt man bei Eli Lilly aber auch ein GLP1-Medikament, das nur noch ein Mal pro Woche eingenommen werden muss.

Therapie ohne Hürden

"Wir wissen, dass besonders Typ-2-Diabetiker häufig viele Pillen pro Tag schlucken müssen - Bluthochdruck und erhöhtes Cholesterin sind oft Begleiterscheinungen vom Diabetes-Typ-2", erläutert Christophe Arbet-Engels von Boehringer Ingelheim, wo man in Sachen Diabetes mit Eli Lilly zusammenarbeitet. "Wir glauben, dass die Compliance der Patienten steigt, wenn sie nur ein Mal pro Woche ein Medikament nehmen müssen."

Der französisch-deutsche Konzern Sanofi forscht derzeit an der Weiterentwicklung seines erfolgreichen Langzeit-Basalinsulins Lantus. Die Prüfsubstanz des neuen Insulins U300 ist eine Formulierung auf Basis des Moleküls Glargin, dem biologischen Wirkstoff von Insulin glargin, dessen Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil gut untersucht und etabliert ist. U300 hat in Studien ein flacheres und verlängertes Wirkprofil als Insulin glargin gezeigt.

Diese Haupteigenschaft ist verantwortlich für weniger Hypoglykämien, besonders der Prozentsatz an schweren und nächtlichen Unterzuckerungen war in klinischen Studien mit insgesamt 3500 Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes deutlich reduziert. Die Senkung des Risikos von hypoglykämischen Ereignissen ist zwingend für die wirksame Zuckereinstellung, und U300 scheint gerade in den ersten Wochen der Insulineinstellung Unterzuckerungen zu reduzieren.

Das Fazit: Für Diabetiker kommen neue Medikamente auf den Markt, die den Verlauf der Krankheit besser und naturnäher therapieren. Eine Heilung ist allerdings in keinem Konzept vorgesehen. Keinen Diabetes zu bekommen ist jedoch der großen Mehrheit der Typ-2-Diabetiker vorbehalten: Durch vernünftige Ernährung und ausreichend Bewegung könnte mindestens die Hälfte der Typ-2-Erkrankungen vermieden werden. (Peter Hopfinger, DER STANDARD, 14.11.2014)