Wenn ein großer Krieg kommt, dann kann es sein, dass von diesen Ländern nichts mehr übrig bleibt." "Diese Länder" sind die EU-Staaten Estland und Lettland, die jeweils große russische Minderheiten haben. Und der dies sagt, ist nicht irgendein nicht ernst zu nehmender ultranationalistischer Hitzkopf, sondern Sergej Markow, Professor an der Moskauer Staatsuniversität für Internationale Beziehungen - und Berater von Präsident Wladimir Putin.

Markows Sprache erinnert an jene der Nazis vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Doch heute sind, seiner Diktion zufolge, "Faschismus und Terror" in dem von der "ukrainischen Junta" (gemeint die Regierung in Kiew) kontrollierten Gebiet zu Hause. Wo aber russische Soldaten stünden, herrsche Demokratie und Meinungsfreiheit.

Diese Darstellung, die aus Schwarz Weiß macht, liefert nicht nur der russischen Bevölkerung die ideologische Begründung für Moskaus militärische Intervention in der Ostukraine. Es ist die Propagandalinie, die über verschiedenste Kanäle auch im Westen verbreitet wird und in Internetforen bereitwillige Abnehmer findet.

Wenn dann Kiew neue russische Verstärkung für die Separatisten meldet und Gegenmaßnahmen ergreift, kann Moskau umso leichter von "Provokation" und Kriegstreiberei sprechen. Und aus der EU kommen wieder einmal beschwichtigende Appelle an die "Kriegsparteien" - ganz so, als wären Angreifer und Angegriffene gleichwertig.

Die österreichische Regierung hat sich bereits klar positioniert: keine verschärften Sanktionen gegen Russland. Der Standpunkt der Regierung sei, "die Verhandlungen zu verstärken", sagte Kanzler Werner Faymann am Dienstag. Worüber aber soll verhandelt werden? Ob die von der EU als verfassungswidrig bezeichneten Wahlen in den Separatistengebieten doch anerkannt werden? Ob Russland die Vereinbarungen von Minsk so auslegen darf, wie es will? Ob Moskau auch ganz offiziell Truppen in der Ostukraine einsetzen darf?

Sind diese Punkte aufgrund der Prinzipien, zu denen sich die EU bekennt, tabu, dann können Verhandlungen nur eine verlogene Scheindiplomatie sein. Und das bedeutet die Anerkennung der Fakten, die Russland gewaltsam geschaffen hat. Der Verzicht auf weitere Sanktionen wäre nur die logische Konsequenz. Dies auch offen auszusprechen - dazu fehlt freilich der Mut. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 12.11.2014)