Predigen macht durstig. Und Platz war ja genug für Leergebinde im jahrhundertealten Pfarrhof von Sankt Andrä im steirischen Sausal. Also hat Tom Riederer nicht nur ein paar Tonnen Altmetall, 30 Eisenbetten etwa und viele, viele Heizkessel, aus dem lange leerstehenden Gehöft geräumt. Und Schutt und scheunenweise Baumschnitt. Sondern eben auch viele, viele Container voll Altglas.

Leutschach grüßt

Längst kocht er wieder, der Riederer, im Pfarrhof eben, dem er einen auskragenden Küchenwürfel verpasste, verkleidet mit rostendem Eisen, womöglich blieb ihm ja gar beim Räumen ein bisschen Blech übrig. Zum Glück kocht er wieder, sagen jene, die ihn schon in Leutschach schätzten, und das sind nicht wenige. Und ich bin einer davon.

Thomas und Katharina Riederer haben noch ein bisschen hochgerüstet. Architektonisch, wie gesagt, denkmalpflegerisch bei der gelungenen Sanierung, und mit viel Hingabe innengestalterisch sowieso, am und im Pfarrhof und seiner Scheune, wo nun die Gäste wirklich schmucke Zimmer haben. Wenn sie zum Beispiel lieber nicht mehr weg wollen aus Sankt Andrä nach dem einen Menü in zehn Gängen (99 Euro), womöglich mit Weinbegleitung.

Kulinarisch hochgerüstet

Ich kann sie verstehen, die Gäste, die da nicht wegwollen. Vor allem auch kulinarisch und in der Präsentation hat Riederer ein Stück hochgerüstet, scheint mir. Aber ich kann mich täuschen, nach Leutschach verschlug es mich ja leider schon länger nicht mehr. Sehen Sie einfach selbst:

Damit fängt es an im Pfarrhof, und zwar gleich mit einem meiner Lieblinge an diesem Abend: Breinwurst, knusprig frittiert, quasi Eingeweidemitgetreidefalafel. Dazu Saft von der roten Rübe mit Bitter und Orange. Schlüssig und gut.



Foto: Harald Fidler

Und so geht es weiter, vom Kopf(fleisch) prompt auf die Füße gestellt: Klachelsuppe, hier gebunden mit ordentlich Linsen. Das schmeckt nach erfreulich wenig Respekt vor Traditionen. Und ganz und gar nach Herbst, strahlt die Wunderbare.

Foto: Harald Fidler

Wo der Tom Riederer gerade mit Traditionen spielt: Arme Ritter (unter Anführungszeichen) von der Ente, mit Haselnusscreme und Haselnussöl. Eine der Wunderbarkeiten an der Wunderbaren ist, dass sie die nicht so rundweg mag und lieber mir rüberschiebt.

Foto: Harald fidler

Klingt banal, gefällt mir nicht nur deshalb: Erdäpfelbrot, saftig, warm und herrlich erdäpfelig...

Foto: Harald Fidler

... mit geschäumter Büffel-Butter und Kräutern. Ja, der Rede wert. Und wie.

Geht gemeinsam gut als Gang durch.

Foto: Harald Fidler

Jetzt wird es bunt - und fast vegetarisch, vorgestellt als "nicht Fisch, nicht Fleisch": weiße Rübe, geeister Apfelsenf, Rohmilchfrischkäse, Süßkartoffel, Melanzani als Fleisch-Darsteller, Karotte, Wakame-Salat - und ein bisschen Rogen vom, wenn ich mich jetzt recht erinnere: Saibling. Die Wunderbare wirft hier ein: Es muss: fast vegan heißen, weil auch der Rogen keiner war. Ich bin mir aber ziemlich sicher - und dass bei mir der falsche Rogen erst später kam.

Aber egal: Gefiel mir. Auch wenn ich das kroatische Olivenöl, gedacht als Kontrapunkt, nicht ganz so scharf fand wie angekündigt. Bin vermutlich olivenöltechnisch ein bisserl abgehärtet bis abgestumpft, vermutet der Herr Riederer. Recht hat er, ich mag's da ja gern ein bisschen kantiger.

Foto: Harald Fidler

"Wird es immer geben": So dramatisch serviert man das 63-Grad-Ei in Erdäpfelcreme und Kernölschaum - und damit's garantiert nicht zu leicht wird, ein bisschen Käse darübergerieben, in Schweizer Knollenform, auf dass der Gast kurz an eine Trüffel denkt (die man ja eher nicht reibt, jaja). Kein Leichtgericht - mollig, kräftig, gut.

Foto: Harald Fidler

Da war ich etwas überrascht nach soviel Spiel mit regionalen Traditionen und Elementen: Seebarsch mit Traubenkernöl und zweierlei Beluga, der wieder unter Anführungszeichen, weil aus Linsen beziehungsweise Algen, oben lila Karotten, frittiert. Insgesamt ein bisserl salzlastig, fand ich, die Wunderbare wies das entschieden zurück.

Foto: Harald Fidler

An diesem Punkt kommt der Bürgermeister ins Spiel: Faschiertes von der Kette, und zwar vom Hirsch, mit Selleriepüree, Apfel und eingelegtem Rotkraut. Intensiv, kräftig, gut. Und ich hab inzwischen wieder eine Wissenslücke gefüllt und nachgelesen: Die Kette ist ein fetterer, sehnigerer Strang am Filet. Und das...

Foto: Harald Fidler

... lässt nicht lang auf sich warten: sehr rosa, sehr zart, sehr, sehr, sehr gut. Mit Handnudeln, so werden sie hier genannt, Pilzen, winzigkleinen Walnüssen, Cranberries, Rotkraut. Eine Pracht. Und die Wunderbare gibt mir auch noch von ihrem Hirschen ab - ja, auch das Unverständliche an ihr ist mir wunderbar. Aber: Was hat all das mit dem Bürgermeister zu tun? Den Hirschen natürlich, ihn liefert das Ortsoberhaupt an den Pfarrhof.

Wie viele andere Erzeuger aus der Gegend hier zum Menü beitragen. Leider geben sie ihre Zander nicht her, sagt Riederer, und weil er Saibling und Forelle schon ein bisserl abgenützt findet, greift er - siehe oben - zum Seebarsch. Anderes essbares Getier wie Schaf oder bald auch Sulmtaler Huhn lebt gleich bei ihm auf dem Pfarrhof.

Foto: Harald Fidler

Ja, ich liebe ein Dessert. Dieses nämlich. Weil es sich sehr wenig pfeift darum pfeift, ob es jetzt so richtig chic und modisch daherkommt. Und weil es mich auch noch an Erwin Wurms Fat Car in Weiß erinnert. Und weil es mir schmeckt, das Schokolade-Essigeis in seinem bubbeligen Mangochassis und auf der (nach meiner Erinnerung) schokoladigen Bremsspur.

Foto: Harald Fidler

Eher unsteirisch befruchtet geht es weiter, und auch deutlich mehr um modischen Chic bemüht: Mandarinenzitrone, sagt der Beipacktext, das ist der cremige Balken, Mandarinenöl, Mohneis (mein Highlight), Apfel, Quitte - und das weiße Pulver im Vordergrund entzweit die Wunderbare und mich für einen Moment.

Sie tippte auf Nougat - und weil ich der Universaldilettant bin, verrate ich nicht, was ich vermutete, abgesehen davon, dass sie, wie eigentlich eh immer, Recht hat. Wobei sie die Mandarinenzitronencreme an Maoam erinnerte - das könnte ich gar nicht, weil zum Glück schon lang verdrängt. Mein Befund zu fortgeschrittener Stund: Ein bisschen viel auf einmal, vor allem von der Mandarinencreme. Aber was red' ich Unwissender von Desserts.

Foto: Harald Fidler

Der Wunderbaren wiederum war bei Toms Petits Fours vielleicht eine Frucht zuviel - wobei er uns gewiss nur farblich elegant Richtung Italien verabschieden wollte: Um den (zum Glück) so gar nicht flüssig bekernten Schokodalken gruppierten sich in Rot, Weiß und Grün Himbeere und Marille, Pfirsich (Melba!) und Apfel.

Bei mir: knapper zweiter Dessertplatz hinter dem Mangocar. (Harald Fidler, derStandard.at, 11.11.2014)

Foto: Harald Fidler

Der ehemalige Pfarrhof Sankt Andrä im Sausal
8444 St. Andrä im Sausal

Foto: Harald Fidler