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Trügerische Familienidylle: Oft stehen Konflikte im Vordergrund.

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Wien - Kinder, deren Eltern nicht zusammenwohnen, kennen in der Regel zwei Haushalte. Vielfach leben sie abwechselnd bei Mutter und Vater - doch rein rechtlich würden sie und ihre Eltern hier in ihrer Wahlfreiheit massiv eingeschränkt, meint Anton Pototschnig von der Plattform Doppelresidenzen: Die heimische Regelung zwinge Paare, einen "hauptsächlichen Aufenthaltsort" für das Kind zu bestimmen.

Daher sei ein jüngst bekannt gewordener, vieldiskutierter Spruch des Wiener Landesgerichts für Zivilrechtssachen "sehr zu befürworten": Einem seit zehn Jahren getrennten Elternpaar wurde von den Richtern die Doppelresidenz der Tochter zuerkannt. Nun darf das Mädchen seinen Hauptwohnsitz bei Vater und Mutter haben, obwohl dies gesetzlich in einem Fall wie diesem nicht vorgesehen ist.

Nachzügler Österreich?

Damit, so Pototschnig, hinke Österreich in Europa einer Reihe liberaler agierender Staaten hinterher: "In Schweden ist die Doppelresidenz der Kinder der Regelfall, ebenso in Belgien. In Frankreich ist das gleichberechtigte Wohnen des Nachwuchses an zwei Orten in strittigen Fällen sogar vorgeschrieben. Und in Deutschland, wo man lange Zeit rigide war, müssen Eltern in einvernehmlichen Fällen keinen Hauptwohnort der Kinder mehr bestimmen", schildert der Familiencoach, der in Österreich eine Gesetzesänderung vorschlägt.

Das jedoch ist Zukunftsmusik, wie im Justizministerium zu erfahren ist. Eine Evaluierung der 2013 geänderten Regelungen sei nicht vor 2016 geplant. Bis dahin mindestens müssten sich getrennt lebende Eltern für einen Kinder-Hauptwohnsitz entscheiden - auch, wenn der Nachwuchs halbe-halbe bei dem einen und dem anderen lebt.

Tiefe Zerwürfnisse

Genau das hatten Vater und Mutter in besagtem Wiener Fall praktiziert, seit ihrer Trennung sogar bereits zehn Jahre lang; die alleinige Obsorge lag dabei bei der Frau. Der Entschluss, gemeinsam und gerecht für das Kind zu sorgen, dürfte dabei einer der wenigen nicht konflikthaften Themen zwischen den beiden gewesen sein. Im Richterspruch (er liegt dem STANDARD vor) ist von tiefen Zerwürfnissen die Rede.

Die Halbe-halbe-Betreuung der Tochter jedoch funktionierte - auch ohne richterlichen Spruch. Bis der Vater die gemeinsame Obsorge beantragte, womit auch die Frage der Doppelresidenz aufs Tapet kam - und, in Österreich erstmals, von einem Gericht befürwortet wurde.

Frauenministerium skeptisch

In der Begründung bezeichnen die Richter die gesetzliche Hauptwohnsitz-Pflicht als "Schwäche". Die Regelung führe zu vielen "Scheinverträgen zur Erfüllung der Vorgaben für die gemeinsame Obsorge". Im Frauenministerium, wo man auch der Einklagbarkeit der gemeinsamen Obsorge skeptisch gegenübersteht, will man nicht von "Scheinverträgen" sprechen. Einvernehmlich agierenden Eltern stehe es eben offen, "privat Vereinbarungen zu treffen".

Eine Gesetzesänderung, die Doppelresidenzen ermöglichen würde, lehnt man im Büro Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) ab. Nicht zuletzt auch, weil sie, gesetzlich vorgeschrieben, die Folge hätten, "dass dann auch die Alimentenfrage jedesmal gerichtlich neu entschieden werden muss" - was zu Druck auf schlechter verdienende Frauen führen könne. (Irene Brickner, DER STANDARD, 5.11.2014)