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Peter Miklusz, der Schauspieler, der im richtigen Leben Erfahrungen in der Fremdenlegion vorzuweisen hat, gibt am Berliner Ensemble den Woyzeck.

Foto: EPA/MAJA HITIJ

30 Soldaten in moderner Kampfuniform: beim Appell, in der Ausbildung, im Einsatz. Man sieht sie in Militärzelten schlafen, aber auch in ihrer Freizeit beim Jahrmarktsrummel. Georg Büchners Fragment Woyzeck ist in Leander Haußmanns Inszenierung eine Ballade über den Krieg und das Militär - und wie das Heer aus einem einfachen Mann einen Mörder macht.

In seine vorbeistampfende Kompanie reiht sich der Soldat Franz Woyzeck immer wieder ein und verschwindet dann. Krieg mag 2014 ein aktuelles Thema sein, doch die Musik, die der Ballade unterlegt ist (Bob Dylan, Rolling Stones), lässt vor allem an die 1970er-Jahre, an den Vietnamkrieg denken. Leander Haußmann, der auch für das Bühnenbild zeichnet, hat auf jeden Bühnenaufbau verzichtet, nur am Ende, wenn Woyzeck Marie mit dem Messer tötet, scheint eine romantische nächtliche Moorlandschaft aufgebaut. Doch diese erweist sich nicht als Gestrüpp oder Moos, es sind Soldaten in Tarnanzügen. Auch als er Marie tötet, ist Woyzeck also nicht allein, sondern Teil einer Truppe.

Dem Theater hatte Leander Haußmann seit seiner Intendanz in Bochum (1995-2000) mehr oder weniger den Rücken gekehrt und sich dafür ganz dem Film (Sonnenallee oder Herr Lehmann) zugewandt. Doch schon letztes Jahr meldete er sich wider Erwarten plötzlich energisch zurück, zunächst mit seiner geistreichen Autobiografie Buh, dann mit einer lustvollen Splatter-Inszenierung von Shakespeares Hamlet, die ebenfalls am Berliner Ensemble zu sehen war. Will er sich als Nachfolger von Intendant Claus Peymann, der 2016 zurückzutreten angekündigt hat, ins Spiel bringen? Die Gerüchteküche brodelt. Er wäre für das Haus keine schlechte Idee.

Mag sein, Haußmanns Inszenierungen erscheinen bisweilen allzu sentimental, allzu oberflächlich pathetisch, aber sie setzen jedenfalls in dem oft drögen Schauspielensemble dort ungewohnte lustvolle Theaterenergien frei. Insbesondere Peter Miklusz - er kann sogar reale Erfahrungen mit der Fremdenlegion vorweisen - imponiert als vielschichtiger Woyzeck.

Beim Rasieren des Hauptmanns geht der kleine einfache Mann -untermalt von der Auftrittsarie des Figaro aus Rossinis Barbier von Sevilla - auch einmal seinen Allmachtsfantasien nach. Denn Haußmanns Woyzeck ist nicht nur eine kluge soldatische Studie, der Regisseur versteht es auch, immer wieder poetischen Jahrmarktszauber zu entfalten und kleine Slapsticknummern vorzuführen. Doktor (Traute Hoess) und Hauptmann (Boris Jacoby) sind vor allem traurige Clowns, weniger bösartige Vorgesetzte.

Besonders eindrucksvoll: wenn in Zeitlupe, auf Tierluftballons sitzend, sich die Soldaten im Karussell drehen. Woyzeck besorgt sich dann um sein letztes Geld zwei Stangen Zuckerwatte, die der Wind jedoch sehr schnell wieder zerfetzt hat. Selbst im Himmel darf der nur donnern helfen, weiß ja auch Büchners Held von sich. (Bernhard Doppler, DER STANDARD, 3.11.2014)