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Machtdemonstration: Mit Pick-Ups und islamistischen Flaggen stellte die Organisation "Shura der Islamischen Jugend" in der ostlibyschen Stadt Derna ihre Waffen zur Schau. Sie sieht sich als Teil der Extremistengruppe "Islamischer Staat".

Foto: Reuters

Derna/Kairo - "Diwan al-Hisba", eine eigene Steuer- und Finanzbehörde, ist der neuste Baustein für ein islamisches Emirat in der ostlibyschen Stadt Derna. Im Schatten des bewaffneten Machtkampfes zwischen der losen islamistischen Koalition "Morgenröte" und der antiislamistischen "Operation Würde" versucht eine Gruppe von salafistischen Jihadisten seit Monaten, in Derna ihren eigenen Gottesstaat einzurichten.

Die "Shura der Islamischen Jugend" hat ihre Gründung im April öffentlich gemacht. Maskierte Männer in Militäruniformen und mit schwarzer Fahne paradierten mit Pick-ups durch die Straßen und stellten ihr eindrückliches Waffenarsenal zur Schau: Maschinengewehre, Granatwerfer und Flugabwehr-Raketen. Sie erklärten, sie seien die neuen Sicherheitskräfte der 80.000 Einwohner zählenden Hafenstadt, 250 Kilometer östlich von Bengasi, und würden die Sharia, das islamische Gesetz, einführen.

Sie richteten einen islamischen Gerichtshof und eine islamische Polizei nach dem Vorbild der saudischen Moralpolizei ein. In den Schulen wurde Geschlechtertrennung verordnet; im Stundenplan Fächer wie Fremdsprachen, Mathematik und Naturwissenschaften gestrichen. Derna soll das Zentrum eines islamischen Emirates in der "Provinz Barca" sein, wie die ostlibysche Region Cyrenaica auch genannt wird.

Hochburg der Extremisten

Derna ist seit vielen Jahren eine Hochburg von islamistischen Extremisten. Nach Angaben des Washington Institute for Near East Policy fanden sich 2007 auf einer Liste der US-Armee mit ausländischen Kämpfern im Irak die Namen von 112 Libyern, 52 von ihnen stammten aus Derna. Als im Februar 2011 die Revolte gegen Diktator Muammar al-Gaddafi ausbrach, erhoben sich auch die Bewohner von Derna gleich am ersten Tag. Anführer war ein früheres Mitglied der Libyschen Islamistischen Kampftruppe (bekannt als Lifg), die 1995 von Afghanistan-Kämpfern gegründet worden war und Beziehungen zu Al-Kaida unterhielt. Im Machtvakuum nach Gaddafis Sturz übernahmen Fundamentalisten wieder das Sagen in der Stadt und begannen, ihren Traum von einem islamischen Emirat schrittweise zu verwirklichen.

Anfang Oktober erklärte die "Shura der Islamischen Jugend", Derna sei nun Teil des von der Extremistengruppe "Islamischer Staat" (IS) ausgerufenen Kalifats. Die Shura ist nicht die einzige Jihadisten-Gruppe in der Hafenstadt am Mittelmeer, hat aber in den letzten Monaten Stärke gewonnen. Sie ist lose verbunden mit der ebenfalls von Al-Kaida inspirierten Ansar al-Sharia, die in Bengasi ihre wichtigste Basis hat und gegenwärtig das Hauptangriffsziel der "Operation Würde" von Ex-General Khalifa al-Haftar ist. Diese hat der IS aber nicht die Loyalität geschworen, was den Ausbruch eines Krieges zwischen militanten Organisationen beschleunigen könnte, warnen libysche Analysten.

Bollwerk gegen die Demokratie

Bis jetzt hat sich der islamische Ministaat in Derna noch nicht zu einem Magnet für ausländische Jihadisten entwickelt und keine Nachahmer in Libyen gefunden. Aber wer immer den Machtkampf in Tripolis gewinnt, wird mit den Extremisten konfrontiert sein, die keine staatliche Autorität anerkennen. Sie stemmen sich gegen alle Versuche, Demokratie einzuführen. Im Juni hatten sie mit Waffengewalt dafür gesorgt, dass in Derna fast alle Wahllokale für die Parlamentswahl geschlossen blieben.

Längst nicht alle Einwohner von Derna fügen sich der Schreckensherrschaft. Verschiedene Organisationen der Zivilgesellschaft haben in den vergangenen Monaten Demonstrationen gegen die "Unterstützer des Bösen" durchgeführt. Eine Handvoll hat diesen Mut mit dem Leben bezahlt, als auf die Demonstranten geschossen wurde. In diesen Wochen liegt die Hoffnung auf der "Operation Würde" von Haftar, die inzwischen auch offiziell von der regulären Armee und der international anerkannten Führung in Tobruk unterstützt wird. In Derna zirkulieren Gerüchte über einen bevorstehenden Einmarsch der nationalen Armee. Bisher wurden aber keine Truppenbewegungen in diese Richtung registriert. (Astrid Frefel, DER STANDARD, 30.10.2014)