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Mahnerin und Aufklärerin: Mit dem Tod von Erika Weinzierl verliert Österreich eine der wichtigsten Intellektuellen der Zweiten Republik.

Foto: APA/ROBERT JAEGER

Wien - Sie war die unumstrittene Grande Dame der heimischen Zeitgeschichte - und weit mehr als das: Erika Weinzierl hat in zahllosen Publikationen und Wortmeldungen auch als öffentliche Mahnerin und Aufklärerin wichtige Beiträge zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der Zeit davor geleistet.

Am 6. Juni 1925 als Erika Fischer in Wien geboren, begann sie noch während des Krieges in Wien Medizin zu studieren, wechselte 1945 aber zu Geschichte und Kunstgeschichte und schloss das Studium nach nur drei Jahren ab. Parallel absolvierte sie den Lehrgang des Instituts für Geschichtsforschung an der Uni Wien.

Ihren unermüdlichen Kampf gegen den Nationalsozialismus hatte sie damals längst begonnen: Noch als Studentin hatte sie sich der Widerstandsgruppe rund um den katholischen Geistlichen Karl Strobl angeschlossen. Typisch für Weinzierl: 1963 machte sie als erste Historikerin das Verhalten der katholischen Kirche während der Nazizeit zum Thema.

1949 heiratete sie den Experimentalphysiker Peter Weinzierl, 1950 und 1954 wurden ihre Söhne Michael sowie Ulrich geboren. Nach einer Tätigkeit im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien und ihrer Habilitation 1961 wurde Weinzierl 1969 ordentliche Professorin an der Uni Salzburg. In ihrer Antrittsrede widmete sie sich einem weiteren tabuisierten Thema der Forschung: den Beziehungen zwischen Wissenschaft und Politik vor allem in der Zwischenkriegszeit.

Von 1979 bis zu ihrer Emeritierung 1995 wirkte die über Österreichs Grenzen hinaus bekannte Historikerin dann als Ordinaria am Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien und prägte mehr als nur eine Generation von Historikern. Tausende Studierende nicht nur der Geschichte hörten ihre beeindruckenden Vorlesungen im Audimax der Universität Wien. Insgesamt hat die produktive Historikerin 30 Bücher verfasst oder mitherausgegeben und mehr als 200 Aufsätze und wissenschaftliche Beiträge geschrieben.

Als öffentliche Intellektuelle wirkte sie aber auch weit über die Universität hinaus: Die deklarierte Pazifistin setzte sich gegen die Atomrüstung, für eine humane Asyl- und Migrationspolitik und vor allem für eine umfassende und tabulose Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ein. Weinzierl war darüber hinaus langjährige Präsidentin der "Aktion gegen den Antisemitismus" und Mitbegründerin der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung und saß im Kuratorium des Bruno-Kreisky-Archivs.

Nicht nur wissenschaftlich, auch politisch bezog Weinzierl eindeutig Stellung: etwa auch im Streit zwischen Bruno Kreisky und Simon Wiesental, als sie Kreisky öffentlich kritisierte. 1995 trat die Zeithistorikerin nach 30 Jahren Mitgliedschaft aus der ÖVP aus. Anlassfall war "der erste Versuch von Wolfgang Schüssel, mit Jörg Haider und der Haider-FPÖ eine Regierungskoalition einzugehen", so Weinzierl.

Bundespräsident Heinz Fischer würdigte in seinem Nachruf den Beitrag Weinzierls "zur Festigung des demokratischen Bewusstseins"; dieser könne "gar nicht hoch genug eingeschätzt werden". Österreich verliere mit ihrem Tod "die Doyenne der zeitgeschichtlichen Forschung".

Bis 2008 erschien Weinzierl noch fast täglich zum Arbeiten an "ihrem" Institut. Dienstagfrüh starb sie 89-jährig in Wien. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 29.10.2014)

-> Reaktionen: "Über Parteigrenzen hinweg anerkannte moralisch-ethische Instanz"

Fischer: Festigte demokratisches Bewusstsein

Bundespräsident Heinz Fischer würdigte in einer Aussendung den Beitrag der verstorbenen Zeithistorikerin Erika Weinzierl "zur Festigung des demokratischen Bewusstseins", dieser könne "gar nicht hoch genug eingeschätzt werden". Österreich verliere mit ihrem Tod "die Doyenne der zeitgeschichtlichen Forschung".

Ihre Arbeiten zur Dokumentation der dunkelsten Kapitel der Geschichte des Landes hätten viele Österreicher motiviert, sich kritisch mit zeithistorischen Themen auseinanderzusetzen, so der Bundespräsident.

"Große Wissenschafterin mit Haltung"

Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) betonte die Verdienste der verstorbenen Zeithistorikerin Erika Weinzierl "um eine umfassende und tabulose Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus". Sie sei eine über Parteigrenzen hinweg anerkannte moralisch-ethische Instanz gewesen, die ihre zutiefst demokratische Grundhaltung immer wieder zum Ausdruck gebracht habe.

Erika Weinzierl habe "unendlich viel für einen differenzierten Umgang mit der Geschichte getan", sagte Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ). Sie sei eine "große Wissenschafterin mit Haltung gewesen, die schonungslos diagnostizierte". Österreich verliere mit ihr ein "mahnendes Gewissen".

"Kämpferin, Antifaschistin und eine exzellente Wissenschafterin"

Auch SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder und der Grüne Bildungssprecher Harald Walser haben in Aussendungen Erika Weinzierl gewürdigt. "Erika Weinzierl war Kämpferin, Antifaschistin und eine exzellente Wissenschafterin", so Schieder. Weinzierl werde Österreich "als unermüdliche, kluge Mahnerin fehlen", sagte Schieder, der im Namen des gesamten SPÖ-Klubs sprach. Er verwies darauf, dass Weinzierl zahlreiche hochrangige Auszeichnungen der Republik Österreich für ihre Aufarbeitung des Nationalsozialismus erhalten hat.

"Für eine ganze Generation war Erika Weinzierl Vorbild, insbesondere auch für Studentinnen und Studenten am Institut der Zeitgeschichte", so Schieder. Weinzierl sei aber auch eine "wichtige Mahnerin der Zivilgesellschaft" gewesen - "so als Pazifistin im Kampf gegen die atomare Aufrüstung und Kämpferin für eine humane Asyl- und Migrationspolitik".

"Lichtgestalt"

Auch Walser zeigte sich betroffen: "Erika Weinzierl hat Generationen von HistorikerInnen geprägt und damit auch maßgeblich zu einer Modernisierung des österreichischen Geschichtsunterrichts beigetragen", erklärte er. Trotz Widerstandes habe sie ihren antifaschistischen Weg "unabhängig und beharrlich" weiterverfolgt.

Österreich verdanke ihr "in bedeutendem Ausmaß jene wissenschaftlichen Anstöße und Grundlagen, die zur Aufarbeitung von Austrofaschismus und Nationalsozialismus unabdingbar waren". Damit sei sie "besonders in den 1960er- und 1970er-Jahren eine Lichtgestalt in der Zunft der österreichischen HistorikerInnen" gewesen.

"Kritische und mahnende Stimme"

VP-Vizekanzler und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner sagte, Österreich verliere eine "kritische und mahnende Stimme". Erika Weinzierl habe sich "mit den dunkelsten Phasen der österreichischen Geschichte befasst und sich mit vollem Einsatz gegen Antisemitismus gestellt."

Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) lobte Weinzierl in einer Aussendung als "Österreichs Gewissen gegenüber unserer Geschichte". Als konsequente Mahnerin für eine ehrliche, lückenlose Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und das Erkennen aktueller Bedrohungen für die demokratisch organisierte Gesellschaft habe sie "einen unschätzbaren Beitrag zu einem neuen Selbstverständnis Österreichs geleistet".

"Eine der wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen Antisemitismus"

Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) bezeichnete Weinzierl als "außergewöhnliche Persönlichkeit", die neben ihrer hervorragenden wissenschaftlichen Arbeit stets gegen Rechtsradikalismus und für mehr politische Kultur eingetreten sei. Um gefährlichen oder falschen gesellschaftlichen Entwicklungen entgegenzuwirken, müsse man sich mit der Vergangenheit seines Landes auseinandersetzen. "Erika Weinzierl hat mit ihrer Arbeit dafür gesorgt, dass wir und die Generationen nach uns das können", so Häupl.

Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, lobte Weinzierl für das Aufbrechen von Tabus in der Geschichtsforschung. Sie habe sich Widerständen zum Trotz kritisch mit der totalitären und nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs auseinandergesetzt. "Die Kultusgemeinde hat durch ihren Tod eine der wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen Antisemitismus verloren." (APA, 29.10.2014)