Berlin - Die deutsche Arbeitsministerin Andrea Nahles will per Gesetz den Einfluss kleiner Gewerkschaften in Tarifkonflikten einschränken. Darauf läuft ihr nach monatelangen Beratungen fertiggestellter Gesetzesentwurf zur Tarifeinheit hinaus. In Arbeitskämpfen wie dem der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) bei der Deutschen Bahn soll im Streitfall nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb gelten.

"Das Streikrecht bleibt unangetastet", sagte Nahles am Dienstag. Auch das Existenzrecht kleiner Gewerkschaften werde nicht infragegestellt. Gewerkschaften wie die Pilotenvereinigung Cockpit, die Ärztegewerkschaft Marburger Bund, die GDL oder der Deutsche Beamtenbund (dbb) sehen dies anders. Der Beamtenbund warf Nahles "politische Feigheit" vor, weil sie ihre wahren Absichten verschleiere, das Streikrecht einzuschränken.

Arbeitgeber sehen "wichtigen Schritt"

Die Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA), die mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund an der Ausarbeitung des Gesetzes beteiligt war, begrüßte den Vorschlag. "Das Risiko, jederzeit einem Arbeitskampf durch kleine Gewerkschaften ausgesetzt zu sein, würde langfristig die Tarifautonomie gefährden", sagte BDA-Präsident Ingo Kramer. Auch die Metall-Arbeitgeber sprachen von einem "wichtigen Schritt zur Sicherung der Tarifautonomie".

Die gesetzliche Regelung soll der Tarifeinheit Geltung verschaffen. Das Prinzip "ein Betrieb, ein Tarifvertrag" war 2010 vom Bundesarbeitsgericht aufgeweicht worden. Damit sei die "Konsenskultur" der Sozialpartner infragegestellt worden, sagte Nahles, die sie mit der Gesetzesregelung fördern wolle. Das Kabinett soll am 3. Dezember das Gesetz auf den Weg bringen, das zum 1. Juli 2015 in Kraft treten soll.

Mehrheitsprinzip wird gestärkt

Nahles sagte, ihr Gesetzentwurf sei mit dem Justiz- und dem Innenministerium abgestimmt. "Wir sind überzeugt, dass dieser Gesetzentwurf verfassungsgemäß ist und vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte", sagte die Ministerin mit Blick auf Ankündigungen kleinerer Gewerkschaften, vor das Gericht zu ziehen. Sie sehen das im Grundgesetz geschützte Recht der Koalitionsfreiheit gefährdet.

Laut Nahles soll der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft Vorrang haben, wenn zwei Gewerkschaften in einem Betrieb miteinander konkurrieren. Nahles will dies als Anreiz verstanden wissen, dass Gewerkschaften stärker zusammenarbeiten. Sie können sich weiterhin absprechen, dass sie einander nicht in die Quere kommen - etwa indem sie jeweils nur für bestimmte Arbeitnehmergruppen wie Piloten oder Ärzte verhandeln. Nur im Streitfall soll das Mehrheitsprinzip gelten. Beispielsweise bei einem Notar müssten die Gewerkschaften dann ihre Mitgliedszahlen in einem Betrieb offenlegen. "Im Zweifel wird das dann einzelgerichtlich am Ende entschieden", räumte Nahles ein.

Beamtenbund spricht von politischer Feigheit

Die Bedeutung für Arbeitskämpfe wie derzeit bei der Bahn und Lufthansa ist nicht eindeutig. "Es ist durchaus möglich, dass in den aktuellen Konflikten bei Bahn und Lufthansa in dem ein oder anderen Fall sich herausstellt, dass eine Gewerkschaft eben nicht die Mehrheit der Arbeitnehmer vertritt", sagte Nahles. "Dann kann es bedeuten, dass zukünftige Tarifauseinandersetzungen anders verlaufen als sie jetzt verlaufen sind in diesem Jahr."

Der Beamtenbund warf Nahles vor, ihr Gesetzentwurf verlagere alle problematischen Fragen von der Gesetzgebung auf die Rechtsprechung. "Wenn man die wahren Absichten, Streikrechte zu begrenzen und Organisationsfreiheit aller Berufe zugunsten von Einheitsgewerkschaften einzuengen, hinter Formalitätsregelungen verbirgt, zeugt das von politischer Feigheit", erklärte dbb-Chef Klaus Dauderstädt. Unter dem dbb-Dach versammeln sich viele kleinere Gewerkschaften, darunter auch die Lokführer-Gewerkschaft GDL. Der dbb gehört nicht zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), kooperiert aber in einzelnen Bereichen mit DGB-Gewerkschaften wie Verdi, mit der er Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst gemeinsam geführt hat.

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) kritisierte, mit der Regelung werde "dem DJV und anderen Spartengewerkschaften das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit beschnitten". Das Arbeitskampfrecht werde ausgehöhlt. Auch die Opposition im Bundestag kritisierte das Vorhaben. Solidarität zwischen einzelnen Berufsgruppen lasse sich nicht gesetzlich erzwingen, erklärten die Grünen. Linken-Parteichef Bernd Riexinger warf Nahles "Streikbruch per Gesetz" vor. (Reuters, 28.10.2014)