Der Wallfahrtsort Mariazell, eine ÖVP-Gemeinde, wird gemeinsam mit drei SPÖ-Umlandgemeinden zu "Groß-Mariazell" aufgewertet.

Foto: Robert Newald

Mariazell - In den 1960er-Jahren war die Welt im obersteirischen Gußwerk noch in Ordnung: fünf Volksschulen, eine Fülle an Dorfwirtshäusern, vier Postämter, drei Pfarren, drei Polizeiinspektionen - "Dorfschanti", hießen sie damals wohl. Bis auf einige verbliebene Gaststätten ist heute kaum noch etwas von der alten Infrastruktur übrig geblieben.

Die Landesregierung in Graz hat die Gemeinde Gußwerk und die Nachbarorte St. Sebastian, Mariazell und Halltal angehalten, sich zu einer Großgemeinde zusammenzuschließen.

"Groß-Mariazell" war eine der von der rot-schwarzen Reformregierung als Vorbild gelobte "freiwillige Fusion". Zumindest nach außen hin. "Mariazell wollte uns ja nicht dabei haben - ich sag mal aus parteipolitischen Gründen", meint der Ortschef von Gußwerk, Michael Wallmann (SPÖ). Die ÖVP-Gemeinde Mariazell habe ursprünglich nur mit den kleinen roten Gemeinden St. Sebastian und Halltal fusionieren wollen, damit die spätere Großgemeinde wieder ÖVP-dominiert sei.

Geld oder sterben

Der Mariazeller Bürgermeister Josef Kuss sieht es pragmatisch: "Ich dachte mir halt, wenn wir zwei starke Gemeinden, je eine rote und eine schwarze, haben, tun wir uns bei Verhandlungen in Graz leichter. Da kann jeder bei seinem Parteichef vorstellig werden. Denn eines muss allen klar sein: Wir werden Geld brauchen, damit die Region hier nicht stirbt."

Freude mit der Fusion hatte hier niemand, auch St. Sebastian und Halltal nicht wirklich. Manfred Seebacher, Ortschef von St. Sebastian, der für die SPÖ als Bürgermeister für die neue Großgemeinde kandidieren wird: "Überschlagen vor Freude tut sich hier niemand. Aber es ist jetzt okay so." Die Verwaltung werde sich zumindest vereinfachen. Die Bürgermeister vermuten, dass zwischen 20 und 40 Prozent der Bevölkerung gegen die Fusion sind. Letztlich hat aber ein stichhaltiges Argument der Landesregierung gezogen: die Fusionsprämie in der Höhe von mehr als 400.000 Euro. Die hat dann doch überzeugt.

Viele stille Gegner

In den Mariazeller Raum spielt aber noch das zweite landespolitische Topthema herein: die Spitalsreform. Mariazell ist besonders hart von Einsparungen betroffen. Das Spital wurde geschlossen und auf einen Ambulanzbetrieb reduziert. Das nächste Spital in Mürzzuschlag ist mehr als 50 Kilometer entfernt. Nur bis 16 Uhr sei Personal da, das den Röntgenapparat bedienen dürfe, sagt Kuss. Zur Abklärung, ob ein Fuß verstaucht ist, müssten Patienten jetzt mit der Rettung 70 Kilometer nach Bruck oder Leoben fahren. Kinder könnten nicht behandelt werden, die nächste Kinderstation sei in Leoben. Wie sich das alles bei den Wahlen auswirken werde, lasse sich "überhaupt noch nicht sagen". "Es gibt viele stille Gegner", ergänzt der Gußwerker Bürgermeister Wallmann. (mue, DER STANDARD, 28.10.2014)