Jovan Stanisavljević Čaruga (Bildmitte).

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Die verstreuten Einheiten der Kadristen geben sich selbst Namen, die der Volksmund überliefert: "Grüne Kommune", "Gebirgsfeen" oder eben der "Reigen der Gebirgsvögel". Auch die Anführer der Gruppen bekommen Spitznamen, die ihnen ihre Gefolgsleute oder der Volksmund geben. Oder Spitznamen, die sie in den Wald mitbringen, wie es bei Čaruga der Fall ist. Der Anführer der Gebirgsvögel, deren Mitglied Jovan Stanisavljević nun ist, heißt Božo Matijević und wird Crveni Božo, der "Rote Božo", genannt. Die Kadristen erarbeiten sogar eine eigene, krude Gesetzgebung, die ähnlich basisdemokratisch funktioniert wie bei den Piraten früherer Jahrhunderte.

Als Crveni Božo in einem Hinterhalt der Gendarmen erschossen wird, übernimmt Čaruga die Führung der Gebirgsvögel. Es ist zwar nicht überliefert, aber ich gehe davon aus, dass Čarugas Fälschertalent ihm die besondere Stellung und den schnellen Aufstieg zum Anführer ermöglicht. Die erprobte Taktik der Kadristen ist es, ihre Raubzüge, Überfälle und Morde als Gendarmen verkleidet durchzuführen. Diese Mimikry erlaubt es ihnen, offen Waffen zu tragen, ohne Verdacht zu erregen. Die Uniformen bestellen sie sogar bei Schneidern und bezahlen die Ware angemessen, damit die Schneider keinen Grund haben, sie an die Behörden zu verraten. Außerdem sind sie als ehemalige Soldaten in der Lage, glaubwürdig zu marschieren, Befehle korrekt zu formulieren und so perfekt ihre Rolle als "Gendarmen" zu spielen. Und hierin könnte die Bedeutung Čarugas innerhalb der Hierarchie liegen: Als geschickter Fälscher kann er Marschbefehle, Ausweise, Verfügungen und alle anderen Dokumente erzeugen, die die Tarnung der Kadristen als Gendarmen erst perfekt macht.

Als der Einsatz der SHS-Armee und der Truppen der Entente Wirkung zeigt und die Grünen Kader fast zerschlagen sind, verlässt Jovan Stanisavljević Čaruga die Wälder des Papuk und wird Waldarbeiter. Doch das ist nur eine weitere Tarnung. In seiner Freizeit geht er immer noch seinem Kerngeschäft nach. Bald sammelt er eine eigene Bande um sich, bestehend aus seinen holzfällenden Kollegen, und beginnt eine Serie brutaler und oft tödlicher Überfälle, Räubereien und Erpressungen. Die neue Truppe ist frei von Ideologie und endgültig eine verbrecherische Vereinigung mit dem einzigen Ziel, fremdes Geld zum eigenen zu machen. Sogar ein Western-gerechter Überfall auf eine Geldkutsche ist als Tat der Männer um Čaruga überliefert.

Čaruga behält die Taktik der Grünen Kader bei: Der Wald dient als Basis, die Raubzüge werden in Uniformen der Gendarmerie durchgeführt. Im Frühling 1920 beginnt man mit der "Arbeit" und im Herbst, wenn der Wald ungemütlich wird, löst Čaruga die Truppe bis zum nächsten Frühling auf. Čarugas Bande hat in den Dörfern "Ohren und Augen". Diese Informanten, die man hier Jatak nennt, kundschaften nicht nur potenzielle Opfer aus, sondern bieten auch Unterschlupf vor und nach getaner Arbeit oder verstecken die Räuber, wenn ihnen die echten Gendarmen zu dicht ins Genick hecheln. Selbstverständlich lassen sich die Jataci für ihre Mitarbeit gut bezahlen. Unter Čarugas Kommando erbeutet die Bande in ihrer ersten "Saison" ein kleines Vermögen und ermordet dabei den Sohn eines ihrer Opfer, der ein wohlhabender Rom ist, dessen gesamte Barschaft geraubt wird. Anschließend berauben Čarugas Männer auch noch den Bruder des ersten Opfers, der ebenfalls über viel Bargeld verfügt. Am Ende des Herbstes teilt man die Beute, und ein jeder geht seiner Wege, um den Winter auszusitzen. Im Frühling 1921 bestellt Čaruga bei einem Schneider Gendarmerie-Uniformen und ruft seine Bande zusammen.

In der "Arbeitssaison" dieses Jahres begeht die Räuberbande die meisten Morde. Zwei Wachmänner, die die zuvor erwähnte Geldkutsche mit den Gehältern der Arbeiter einer Firma aus Pakrac bewachen, werden beim Überfall erschossen. Čaruga selbst erschießt später einen Verräter aus den eigenen Reihen und einen Konkurrenten im Geschäft, einen anderen Räuber, der sich als Čaruga ausgibt. Nach dem Überfall auf die Geldkutsche wird die Bande von den Gendarmen ernsthaft unter Druck gebracht, Čaruga löst die Bande auf und versteckt sich in Zagreb, wo er als reicher Geschäftsmann auftritt. Nebenbei kuriert er bei einem Arzt seine Syphilis. Er investiert sogar seinen Anteil an der letzten Beute in ein legales Geschäft als Militärlieferant. Auch das ist jedoch nur eine Fälschung, eine Fassade, hinter der Čaruga in aller Ruhe einen neuen Beutezug plant.

Čarugas letzte Flucht

Im Herbst 1923 überfällt die Bande den Sitz des Baron Eltz. Man will eine Kassa mit dem Bargeld und dem Schmuck des Adeligen öffnen, was nicht gelingt. Dabei wird aber ein Hausangestellter des Barons ermordet. Ein anderer Diener kann ungesehen entkommen und die Gendarmen verständigen. Nach einer Schießerei zerstreut sich die Bande, und Čaruga flieht ohne Beute in den Wald. Von nun an muss er bei den gierigen Jataci Unterschlupf finden, seine Verstecke oft wechseln und ständig Verrat fürchten, weil seine Geldvorräte zur Neige gehen und seine Ergreifung, lebendig oder tot, mit einer sehr hohen Belohnung ausgeschrieben ist. Doch eine kurze Weile gelingt es ihm, in Freiheit zu bleiben. Aus diesen Tagen auf der Flucht mit oft täglichen Wechseln des Verstecks für die Nachtruhe stammen all die Geschichten über Čarugas Übernachtungen in praktisch jedem Haus in Slawonien.

Über die näheren Umstände seiner Verhaftung sind mehrere Versionen überliefert. Sicher scheint nur, das Čarugas Befürchtung, er werde von einem der Jataci verraten, sobald er für die Verstecke nicht mehr genug zahlen kann, wahr wird. In einigen Versionen wird Čaruga im Schlaf im Haus des verräterischen Jatak verhaftet. In anderen Versionen wird er nach heldenhafter Gegenwehr in einem Hinterhalt überwältigt. Die andere historische Gewissheit ist, dass der Räuber Jovan Stanisavljević Čaruga vom Gericht in Osjek zum Tod verurteilt wird und dort im Frühling 1925 vor zahlreichen Zuschauern im Morgengrauen, auf dem Galgen, sein kurzes Leben beendet.

Der abgewiesene Gast

Die Geschichte, Čaruga hätte im Haus von Onkel Alojz Šubert, dem Schmied von Kukunjevac, übernachtet, erzählt mir eines wolkenlosen, heißen Mittags seine Frau, Tante Lepa. Doch schon am selben Abend erzählt Onkel Alojz eine ganz andere Version dieser Übernachtung.

Es soll in einer jener Nächte gewesen sein, als Čaruga nach dem misslungenen Überfall auf das Gut des Grafen Eltz täglich seinen Schlafort wechselt. So klopft er auch an die Türe von Onkel Alojzens Vater, dem Schmied Fridolin Šubert. Fridolin aber ist in Kukunjevac und darüber hinaus für drei Dinge bekannt: seine enorme Körperkraft, seinen Sinn für Gerechtigkeit und seine kurze Lunte. Als Čaruga Einlass begehrt, so erzählt es Alojz, stellt sich Fridolin dem erstaunten Räuber mit einem riesigen Hammer in den Weg. Und sagt: "Du bist ein Mörder und ein Dieb, und du wirst keinen Fuß über meine Schwelle setzen. Siehst du diesen Hammer? Den brauche ich gar nicht, um dir den Schädel zu zertrümmern. Lauf, bevor ich den Hammer ablege und über dich komme wie der Zorn Gottes!"

Und Čaruga lief.

Ein Wort zur Ehre

Obwohl der historische, der "echte" Čaruga nur ein Fälscher, Räuber und Mörder ist, verklärt und verkehrt die Legende dessen dem banalen Bösen gewidmetes und daran verschwendetes Leben. Und moderne Verbrecher tragen seinen Namen mit Stolz. Mein Großvater Đuro ist auch ein Deserteur. Doch anders als Čaruga ist mein Opa Đuro ein mutiger Mann, weil er die Konsequenzen seiner Tat gegen seine Verantwortung als Familienvater aufwiegen muss, bevor er sich in den Wäldern des Papuk den Partisanen anschließt. Und anders als Čaruga ist mein Opa ein echter Kommunist, dem die klassenlose Gesellschaft und das Hinauswerfen der Besatzer ein ehrliches Anliegen ist. Sein Leben ist nicht verschwendet, auch wenn seine Vision von einem gerechten Leben von Gleichen unter Gleichen doch nicht erfüllt worden ist. Ich bin stolz auf meinen Großvater Đuro Krpeljević, den kroatischen Partisanen. Und auf meinen Uropa Fridolin. Auf Čaruga stolz zu sein bedeutet hingegen, Geschichte nicht zu kennen.

Und Ehre schon gar nicht. (Bogumil Balkansky, daStandard.at, 28.10.2014)