Die Redeschleifen des radikalen Revolutionärs Robespierre (Michael Maertens mit Brille) ziehen immer engere Kreise um den einstigen Mitstreiter Danton (Joachim
Meyerhoff). Links: Fabian Krüger als St. Just.

Foto: Reinhard Maximilian Werner

Wien - Georg Danton (Joachim Meyerhoff), dem gravitätischen Titelhelden in Georg Büchners Französische-Revolution-Stück Dantons Tod, ist nicht zu helfen. Als federführender Politiker war er beteiligt am Sturz der Monarchie und am Meucheln des Adels (und auch vieler Nicht-Privilegierter). Das Volk wollte er als Souverän einer neuen Republik sehen. Doch nach Jahren des Jagens und Guillotinierens und im Anblick der sich dabei selbst zerfleischenden politischen Helden wehrt er das Revolutionsgerede seiner Gefolgsleute schon ab wie lästige Fliegen. Es ist vorbei.

Der Preis für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wuchs vor seinen Augen und unter seiner ihm allzu bewussten Mitverantwortung ins Unermessliche. "Ich mag nicht weiter" sind auch seine allerersten, teuflisch wahren Worte in der bilderreichen Burgtheater-Inszenierung von Jan Bosse. Er kniet geknickt an der Rampe, hinter ihm ziehen die in finsteren Gerüsten arrangierten Überreste der Revolution (Bühne: Stéphane Laimé) auf der Drehbühne ihre langsamen Runden.

Der blutige Wahnsinn hat diesen Mann, der einst die Menschen über alles geliebt hat, in eine existenzielle Depression gestürzt. Wofür und warum überhaupt geht man über Leichen? Sind Menschen dazu verdammt, einander immer Wölfe zu sein? Um diese grundsätzlichen Gewissensfragen geht es in Bosses stark gekürzter Fassung des Stücks von 1835.

Inferiorer Idealist

Nur mehr die Reste eines Lebemanns, eines inferioren Idealisten und bombastischen Kampfredners trägt Meyerhoff auf seiner schmalen, oft gebückten Gestalt. Lehm schmiert er sich auf den Körper, als hätte er die Berührung mit dem eigenen Grab schon erfahren. Bosses dynamisches, stellenweise etwas ratloses, aber konzentriertes und kompromisslos im historischen Kontext verhaftetes Karussellbühnenarrangement gleicht auch ganz einem Totentanz. Es ist ein Spiel mit dem Jenseits und recht präzise auf den inneren Konflikt der Titelfigur zugeschnitten.

Zu den stärksten Szenen gehören dabei jene, die Danton in verzweifelt flehender Hinwendung an seine Frauen zeigen, an seine Gattin Julie (Adina Vetter) und seine Mätresse Marion (Jasna Fritzi Bauer). Er, der nun ganz als Humanist enden möchte, hört lieber der traurigen Geschichte einer Prostituierten zu als den Phrasen seiner Deputierten. Es bleibt wenig Raum für politische Diskurse, deswegen auch wenig Entfaltungsmöglichkeit für die Politfunktionäre Lacroix (Daniel Jesch) und Camille (Peter Knaack).

Einzig St. Just (Fabian Krüger) richtet als Handlanger des Wohlfahrtsausschusses seine berühmte Propagandarede ("Die Revolution [...] zerstückt die Menschheit, um sie zu verjüngen") an eine auf die Bühne stürmende Kinderschar. Das ist der einzige unmittelbar ablesbare Gegenwartsbezug in einer Inszenierung, die sich sonst jedes auch nur leisesten Winks an Revolutionen von heute entschlägt. Die Texte sprechen für sich. Und es gelingt insbesondere Meyerhoff und Michael Maertens als Robespierre, das in den Wörtern und Sätzen vielfach verborgen Liegende hörbar zu machen.

Robespierre, der käsebleiche Oberpriester der Revolution, ist in Michael Maertens' Interpretation eine vollkommene Hommage an den streng gescheitelten ungerührten Schlächter (Javier Bardem) im Coen-Brüder-Film No Country for Old Men. Er setzt die bewegungslose Visage eines blutleeren Funktionärs auf, hält die Knie immer schön zusammen und träumt mit seiner schneidenden Stimme (durchs Mikrofon) doch stets vom Köpferollen, während sich das Videobild des ungreifbaren Staatsmanns dabei auf die Großaufnahme seiner gefletschten Zähne reduziert. Auch an Goebbels-Reden mag man da denken.

Dauerlauf Dantons

In diesen "Zwiesprachen" entstehen gespenstische Momente. Aber auch Leerstellen bleiben, ungehörte Sätze und unlogische Manöver. Warum beispielsweise will ein depressiver Todessehnsüchtiger, wie es Danton tut, stets im Kreis laufen? In geschmeidigen Schritten umrundet er das Gerüst dieses Revolutionssetzkastens viele Male; es besteht aus dekadent beleuchteten Hinterzimmern, auch die berühmte Marat-Badewanne steht da, in der Mitte thront das Schafott.

Das einfache Konzept der Todesspirale fängt diese Unstimmigkeiten immer wieder auf. Am Ende ist man zu 75 Prozent begeistert. Freundlicher Applaus. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 27.10.2014)