Wien - Kaum ein Straftatbestand wird bei der Beurteilung von Verhaltensweisen im Bereich der Privatwirtschaft so strapaziert wie der der Untreue nach § 153 StGB. Erst 1931 in den österreichischen Rechtsbestand aus Anlass eines konkreten Falles mit rückwirkender Geltung eingeführt, hat er in mehreren Schritten - ebenfalls oft aus Anlass konkreter Fälle - diverse legistische Änderungen und Ausformungen erfahren.

Das ist nicht verwunderlich, pönalisiert er doch im Kern den wissentlichen Befugnismissbrauch eines Machthabers, der mit dessen Schädigungsvorsatz verbunden sein muss.

Machthaber sind durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft zur rechtlichen Verfügung über das Vermögen anderer befugt, haben also vermögensverändernde, dem Machtgeber zur Gänze zuzurechnende Gestionsmöglichkeiten.

Das typische Beispiel für einen solchen Machthaber ist im Gesellschaftsrecht der "Geschäftsführer". Dieser ist grundsätzlich verpflichtet, seinem Machtgeber, also der von ihm geleiteten Gesellschaft, den größtmöglichen Nutzen zu verschaffen. Macht er das nicht, sondern setzt Handlungen und Unterlassungen, die ihm im Innenverhältnis (also durch Regelungen im Gesellschaftsrecht) untersagt sind, so kann er sich strafbar machen, was ihm nicht nur ein Strafverfahren einbringen, sondern auch seine gerichtlich durchsetzbare Abberufung als Geschäftsführer "aus wichtigem Grund" zur Folge haben könnte. Der Vorwurf strafbaren Verhaltens wie Untreue kann zweifellos ein solcher wichtiger Grund sein, und häufig werden gerichtliche Auseinandersetzungen über die Abberufung eines Geschäftsführers nicht nur vor den Zivilgerichten, sondern gleichzeitig auch vor dem Strafgericht geführt.

So weit, so einfach.

Schwierigkeiten treten aber dann auf, wenn der Machthaber ein wirtschaftlich gesehen nicht unvernünftiges Ziel für die Gesellschaft anstrebt, die für seinen Verfügungsakt im Innenverhältnis aber erforderliche Genehmigung aus irgendeinem Grund nicht einholen will oder kann, das Ziel aber aus einem von ihm nicht vorhergesehenen Ereignis verfehlt.

Kostet Freiheit und Existenz

Die Ausgestaltung des § 153 StGB als Missbrauchstatbestand wird ihn in der Regel Freiheit und Existenz kosten, da er ja Regeln missachtet und einen Schaden herbeigeführt hat.

Fraglich ist aber im heutigen Wirtschaftsleben, ob in solchen Fällen wegen der Sorge um strafrechtliche Konsequenzen nicht die Prosperierung von Unternehmen gefährdet oder verhindert wird. Entscheidungen in wirtschaftlichen Angelegenheiten sind stets risikobehaftet. Wer die richtige trifft, darf auf Lob und Ehren hoffen. Wer aber eine Fehlentscheidung trifft, muss gesiebte Luft atmen. Gerade die (weltweiten) großen Strafrechtsfälle im Bankensektor zwingen förmlich zum Nachdenken. Man hat noch nie davon gehört, dass irgendein Staatsanwalt Anklage wegen versuchter Untreue gegen einen erfolgreichen Spekulanten erhoben hat, obwohl dafür alle Voraussetzungen vorliegen könnten: Spekulation ohne entsprechende Erlaubnis im Innenverhältnis ist Befugnismissbrauch, das Einkalkulieren eines Schadens für den Machtgeber wäre für Vorsatz ausreichend (siehe dazu auch die Kritik der Arbeitsgruppe "StGB 2015": Nach der Judikatur kann nämlich der Vermögensnachteil bei Gewährung eines ungesicherten Darlehens oder sonstiger Spekulationsgeschäfte bereits mit der befugnismissbräuchlichen Auszahlung von Vermögenswerten vorliegen). Tritt daher der Schaden nicht ein, würde die Untreue im Ergebnis "gescheitert" und daher als bloß versucht gerichtlich zu ahnden sein.

Der Reformbedarf für den Untreuetatbestand besteht m. E. in einer besseren Abgrenzung des Sonderverhaltens eines Machthabers zu der allgemeinen "bestmöglichen" Vertretungshandlung. Denn diese ist zu erfolgsabhängig, was nicht Kriterium für ein Missbrauchsverhalten sein darf. Sie bremst auch die für wirtschaftlichen Fortschritt unabdingbare Risikofreudigkeit von Unternehmen.

Auch die Arbeitsgruppe StGB 2015 erkennt die Schwachstelle in der derzeit gültigen Bestimmung. Sie hat jedoch einen Änderungsvorschlag aufgrund der knappen zeitlichen Vorgaben nicht mehr ausarbeiten können. Dies sollte jedoch einer notwendigen und sinnvollen Reform nicht entgegenstehen. (Liane Hirschbrich, DER STANDARD, 27.10.2014)