Wien - "Dass es in unserem modernen Sozialstaat noch ,Bettgeher' gibt, hätte ich nicht erwartet. Ein Schüler kam mit 38,5 Grad Fieber in die Schule, weil sein Vater sich nach der Nachschicht in seinem Bett ausschlafen musste." – Es ist nur eine der Realitäten der österreichischen Bildungslandschaft, die Eingang in das neue Buch von Heidi Schrodt fanden. Unter dem Titel Sehr gut oder Nicht genügend? Schule und Migration in Österreich widmet sich die Autorin den großen Fragen im Schulsystem: Wie kann es in einer Migrationsgesellschaft funktionieren und der Realität in den Klassenzimmern gerecht werden?

Probleme, über die Donnerstagabend im Rahmen der vom ZOOM Kindermuseum in Kooperation mit dem STANDARD organisierten "ZOOM Lectures" zum Generalthema "Kindheit heute" im Kindermuseum diskutiert wurde. Mit dabei die Buchautorin, Bildungsexpertin und langjährige Direktorin des Wiener Gymnasiums Rahlgasse Schrodt sowie Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ), die selbst jahrelang in der Rolle der Lehrerin – zuerst als Hauptschullehrerin, dann an der Schwerhörigenschule Wien - war.

Ein folgenschwerer Rollentausch

Wer am bildungspolitischen Diskurs in Österreich teilnimmt, kommt an Schrodt kaum vorbei, seit Jahren plädiert sie für eine Gesamtschule und prangert Missstände in der Bildungspolitik an. Zu Beginn der Diskussion beschrieb die Ex-AHS-Direktorin ein Schlüsselerlebnis im Zusammenhang mit ihrem bildungspolitischen Engagement: ein Rollentausch mit einem Hauptschullehrer in Favoriten. "Das war 1990 und ich habe damals wirklich einen Schrecken bekommen, eine Unterrichtssituation wie ich sie nicht kannte", erzählt sie. Viele Kinder konnten gar kein Deutsch, manche hatten Kriegstraumata, andere wiederum waren lerntechnisch schon um einiges weiter, kurzum: "Eine schwierige Situation wenn man an die AHS gewöhnt ist.", erzählte Schrodt.

Die Parallelwelten Hauptschule und Gymnasium existieren bis heute, auch wenn sich in Sachen sozialer Durchmischung die Situation leicht gebessert hätte, meint die ehemalige Schulleiterin. Besonders an den Unterrichtsweisen habe sich nichts Wesentliches geändert. Schuld daran: die Ausbildung der Lehrenden. Die jüngste Reform sollte das ändern, laut Ministerin Heinisch-Hosek bietet die neue Ausbildung alles, um "mit den Anforderungen einer Migrationsgesellschaft gut umzugehen". Bis alle Pädagogen aber nach dem neuen Curriculum ausgebildet sind, dauert es noch bis 2054.

Kritik gab es auch am Aufnahmeverfahren für die Lehramtsstudien. Das Erreichen von 30 Prozent der Punkte reicht für die Zulassung, ansonsten gibt es ein verpflichtendes Beratungsgespräch. Wer daran teilnimmt, ist auch aufgenommen. Im Gespräch wies die Ministerin die Vorwürfe zurück: "Ich will den freien Hochschulzugang mit diesen Aufnahmeverfahren nicht konterkarieren, an dem Verfahren wird sich nichts ändern."

"Ziel ist nach wie vor die Gesamtschule"

Ein großes Thema war auch die gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen. Für Schrodt ist sie der Schlüssel "zu besseren Aufstiegschancen für Kinder aus bildungsfernen Schichten". Auf Regierungsebene ist sie aber derzeit nicht im Gespräch, derzeit wird vor allem am Übergang zwischen Kindergarten und Volksschule gefeilt - wohl auch, um Konflikte mit dem Koalitionspartner zu vermeiden. Für Heinisch-Hosek ist das Thema damit aber nicht vom Tisch: "Mein Ziel ist nach wie vor die Gesamtschule", betonte die SPÖ-Ministerin. (David Tiefenthaler, derStandard.at, 24.10.2014)