Wenn man dem Spruch auf der Secession Glauben schenkt, braucht die Zeit ihre Kunst und die Kunst ihre Freiheit. An sich ist man doch geneigt gewesen zu meinen, die Kunst in Wien wäre nach 1945 doch in einer gewissen Unabhängigkeit verblieben.

Dass dem offensichtlich nicht so ist, verwundert doch. Eine Wiener Künstlerin baut Puppenhäuser, die sie mit Barbies in alltäglichen Handlungen ausstaffiert. Alltägliche Handlungen beinhalten nach Interpretation der Künstlerin Kochen, Putzen, Sex und Schlafen. Ein solches im Fenster ihres Ateliers ausgestelltes Haus führte zu Wellen der Empörung. Während in Berlin echte Menschen um sieben Uhr früh in der Schnellbahn rücksichtslos zur Sache kommen, ohne mit einer großen Geldstrafe rechnen zu müssen, dürfen in Wien offensichtlich nicht einmal Ken und Barbie zu zweit an der Küchenpuppenzeile lehnen, obwohl Ken dabei sogar einen Bademantel trägt. Jedenfalls im dritten Bezirk nicht. Irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Tatsachen würde das ideale Gleichgewicht von Eros und Öffentlichkeit liegen. Aber leider. Weit gefehlt. Die Hausverwaltung reagierte prompt. Das Objekt des Ken-Anstoßes sei unverzüglich aus der Auslage zu entfernen, da es als öffentliches Ärgernis gemeldet worden sei. Bei Barbie-Beibehaltung drohe eine Kündigung. Harte Tatsachen verlangen harte Entscheidungen.

Ein Schuss vor den beinahe entarteten Bug. Was sollen die Kinder bloß dabei denken. Welchen Schrecken die armen Kleinen erst im Kunsthistorischen Museum ausgesetzt gewesen wären! Ob nun der entblößte Ken allein mit seiner undefinierten Ausbuchtung unter dem definierten Sixpack ein Ärgernis darstellte oder ob dieses Ärgernis erst in der Kombination von Barbies unnatürlicher Taille entstand, wurde in der Mitteilung der Hausverwaltung nicht erläutert. Damit entzog sich diese Frage jedem künstlerischen Diskurs. Schon beim Life-Ball-Plakat überschlugen sich die täglichen Meldungen zur Schniedelbekämpfung per Farbe und Sticker. Aber das! Eine dreidimensionale Frechheit! Wenn auch eindeutig heterosexuell. Das machte den Braten allerdings auch nicht mehr fett. Im Endeffekt stellten beide Fälle dennoch das gleiche Experiment dar: Schrödingers Schniedel. (Der Forscher selbst ist selbstverständlich über jedes Ärgernis erhaben.) War er nun da oder war er nicht da? Und wenn er da war: In welchem Zustand war er, damit es sich tatsächlich um ein öffentliches Ärgernis handeln konnte? Den neuesten Statistiken zufolge geht übrigens weltweit Barbies Marktanteil zurück. Gewiss ein Preis des öffentlichen Lotterlebens. (Julya Rabinowich, Album, DER STANDARD, 25./26.10.2014)