Wien - "Es ist leichter, eine Urkunde aus dem 13. Jahrhundert zu erhalten als die digitalen Medien aus jüngster Zeit." Mit dieser Aussage machte Eva Nowotny, Präsidentin der Österreichischen UNESCO-Kommission am Dienstag anlässlich der Vorstellung des "Österreichischen Memory of the World"-Registers auf den "größten Gefahrenpunkt" in der Archivierung von Kulturgütern aufmerksam.

Das neue "Memory of Austria"-Register, das nun als nationaler Ableger des seit 1992 bestehenden internationalen Programms "Memory of the World"-Programms ins Leben gerufen wurde, umfasst 19 heimische Dokumente vom 12. bis zum 20. Jahrhundert, die vom Fachbeirat der UNESCO als "kulturell bedeutsam und historisch wichtig" eingestuft werden. Die Liste soll fortan biennal erweitert werden.

"Georgenberger Handfeste", Staatsvertrag und Nachlass von Robert Musil

Unter den gelisteten Manuskripten finden sich etwa die Nachlässe von Robert Musil oder dem Physik-Nobelpreisträger von 1933, Erwin Schrödinger. Der Friedensvertrag von Saint-Germain-en Laye (1919), der Österreichische Staatsvertrag oder die "Georgenberger Handfeste" aus 1186 wurden unter der Rubrik "Akten und Urkunden" aufgenommen, die "Bibliotheca Eugeniana" des Prinzen Eugen oder die Porträtsammlung der Österreichischen Nationalbibliothek wurden unter die bedeutendsten Drucke gewählt, der Bestand zur Wiener Weltausstellung 1873 zählt zu den erhaltenswerten audiovisuellen Dokumenten.

Die digitalen Medien aus der jüngeren Vergangenheit stehen laut Nowotny durch den technischen Fortschritt oder andere äußere Einwirkungen wie Schädlingsbefall "unter Bedrohung". Laut Gabriele Fröschl, Direktorin der Österreichischen Mediathek, sind die Kosten für digitale Langzeitarchivierung sehr hoch und stellen eine "dauernde finanzielle Belastung" dar. Zudem sei das Zeitfenster für die Digitalisierung von Ton- oder Bildträgern "sehr klein", da veraltete Abspielgeräte oft gar nicht mehr produziert würden.

Digitalen Archivierung

Dietrich Schüller, Vorsitzender des "Fachbeirats Informationsbewahrung" sowie des heimischen "Memory of the World"-Programms, erläuterte die Problematik anhand von historischen Musikaufnahmen, die in "höchster Qualität" digitalisiert würden. So brauche man für eine Stunde Musik, die im ".wav"-Format gespeichert wird, zwei Gigabyte Speicherplatz, für ein einstündiges Video etwa 80 bis 90 Gigabyte. Das Archiv der Mediathek ist laut Fröschl derzeit auf 750 Terabyte angelegt. Bei großen Anbietern zahle man rund einen Euro pro gespeichertem Gigabyte im Jahr. Kosten, für die es laut Thomas Just, dem Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, keine ausreichende finanzielle Förderung gibt. In Deutschland werde für diese wichtige Grundlagenarbeit der digitalen Archivierung wesentlich mehr Geld in die Hand gekommen, kritisiert er und wünscht sich zwei voneinander getrennte Fördertöpfe für Forschung und Forschungsinfrastruktur.

Das (kostengünstige) Speichern von Archivmaterial in der sogenannten "Cloud" kommt laut Schüller als Alternative jedoch "für kein seriöses Archiv infrage", wie er bekräftigte. Just sieht hier hingegen Möglichkeiten, "wenn es um die kommerzielle Nutzbarmachung" von Archivmaterial geht. Auf diese weise könne man heruntergerechnete Datenmengen einem großen Publikum gratis zur Verfügung stellen, wie es etwa die Nationalbibliothek bereits in ihrer Kooperation mit Google macht. Trotz der dreifachen digitalen Sicherung vieler Archivbestände, die sich physisch an unterschiedlichen Standorten befinden, ist es für die Verantwortlichen jedoch kein Thema, auf die Originale zu verzichten. "Den Staatsvertrag werden wir sicher nicht skartieren, nur weil wir ihn digitalisiert haben", scherzte Alfred Schmidt von der Nationalbibliothek.

"Wir können immer nur mahnen und aufrufen"

Auch wenn die Aufnahme von Dokumenten in die nationale sowie internationale "Memory"-Liste keine finanziellen Vorteile bringt, ist es für Schüller vor allem die Funktion der "Auslage", die die Liste mit sich bringt. Mithilfe des Registers wolle man auch "das darunter liegende Programm bewerben", also auf die Dringlichkeit der finanziellen wie ideellen Unterstützung von Archiv-Arbeit aufmerksam machen. Für Fröschl ist es eine "Form, spröde Themen publikumswirksam der Öffentlichkeit zu vermitteln". Dass die UNESCO bei keinem der Programme, wie etwa dem Welterbe, wirklich eingreifen kann, ist laut Nowotny ein Wermutstropfen. So habe man erst in jüngster Zeit "tatenlos zusehen müssen", wie Kulturgüter - etwa die Altstadt von Aleppo - zerstört würden. "Wir können immer nur mahnen und aufrufen. Mehr nicht." (APA/red, derStandard.at, 22.10.2014)