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Der Anthropologe Chris Stringer 2004 bei der Präsentation des "Hobbits". Rechts daneben ein Schädel von Homo sapiens.

Foto: AP/Richard Lewis

London - Vor wenigen Tagen erst hat ein archäologischer Fund aus Indonesien die bisherigen Vorstellungen von der Ausbreitung des modernen Menschen auf den Kopf gestellt: In einer Höhle auf der Insel Sulawesi wurden Wandmalereien gefunden, die 40.000 Jahre alt sind - und damit genau so alt wie die ältesten Kunstwerke, die in südeuropäischen Höhlen gefunden wurden.

Die bislang erstaunlichste anthropologische Entdeckung aus diesem entlegenen Teil der Welt wurde vor genau zehn Jahren publik gemacht: Im Oktober 2004 zierten die Knochen einer bis dahin unbekannten Menschenart das Cover des Fachblatts "Nature". Die Knochen waren auf der indonesischen Insel Flores entdeckt worden, weshalb der Sensationsfund den Namen Homo floresiensis erhielt. Ihr Zweitname machte die kleingewachsenen Zweibeiner noch bekannter: Hobbits.

Neben dem Zwergenwuchs und dem Mikroschädel war an der Entdeckung von Beginn an einiges höchst rätselhaft: Die gefundenen Knochen waren keine 20.000 Jahre alt, und doch wies Homo floresiensis einige körperliche Merkmale auf, die man sonst nur von Skeletten kannte, die eine Million Jahre alt waren oder noch älter.

Genau zehn Jahre nach der Präsentation der Entdeckung bilanziert der britische Anthropologe Chris Stringer, der 2004 mit am Podium saß, was man im Lichte neuer Funde und Studien über die Hobbits heute weiß. Klar scheint nach der Lektüre von Stringers Kommentar im Fachblatt "Nature" dabei nur eines: Es sind nach wie vor erstaunlich viele Fragen offen.

Tatsächlich haben sich die Knochen von Homo floresiensis als eine Art Puzzle herausgestellt, dessen Teile nicht recht zusammenpassen wollen: Die Füße und extrem kurzen Beine ähneln jenen vom Australopithecus, der vor mehr als zwei Millionen Jahren in Afrika lebte. Andere Merkmale deuten darauf hin, dass es sich beim "Hobbit" um eine Variation von Homo erectus handeln könnte, die auf der Insel verzwergte, wie das für viele Tierarten auf Inseln beobachtet wurde.

Das ist auch die am ehesten akzeptierte Hypothese. Doch auch sie weist Probleme auf, wie Stringer zeigt. Denn neben der Verzwergung von Homo erectus, der vor rund 1,9 Millionen Jahren in Afrika auftauchte und eigentlich vor mehreren 100.000 Jahren ausstarb, müsste es bei den Hobbits auch eine anatomische Rückentwicklung gegeben haben. So etwas wurde noch nie beobachtet.

Einigermaßen klar verwirft Stringer nur die zunächst heftig diskutierte Hypothese, dass Homo floresiensis ein moderner Mensch mit schweren Defekten (Mikrozephalie oder Kretinismus) gewesen sein könnte: Keines der bekannten Syndrome würde laut Stringer so seltsame Knochenveränderungen hervorbringen.

Bleibt eine dritte spektakuläre Vermutung zur Herkunft von Homo floresiensis, der Stringer einiges abgewinnen kann: Womöglich handelt es sich dabei um eine noch ältere Form als Homo erectus, die schon vor zwei Millionen Jahren aus Afrika ausgewandert ist. Das würde aber auch bedeuten, dass bis zu diesem Sensationsfund vor zehn Jahren ein uralter asiatischer Zweig des menschlichen Stammbaums völlig übersehen worden wäre. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 18.10.2014)