Bild nicht mehr verfügbar.

Südkoreanischer Soldat in der Verhandlungsbaracke im Grenzdorf Panmunjeon.

Foto: AP Photo/Lee Jin-man

Von außen sieht die hellblaue Baracke im Grenzdorf Panmunjeon geradezu schäbig aus, doch für die beiden Koreas ist es ein hochgradig symbolischer Ort: Eine Betoneinlassung trennt den länglichen Raum in zwei Teile, an deren Enden Nord- und Südkorea über einen eigenen Türzugang verfügen.

Genau hier trafen sich gestern erstmals nach sieben Jahren Generäle beider Länder und verhandelten über mögliche Annäherungen. Handfeste Ergebnisse hatten sie am Ende nicht vorzuweisen, aber immerhin.

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: EPA/SOUTH KOREA DEFENCE MINISTRY

Dieser Tage wird in Südkorea wieder zunehmend über Wiedervereinigungsszenarien diskutiert, denn anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums des Falls der Berliner Mauer schielen die Politiker des Landes verstärkt nach Deutschland, um mögliche Lehren aus dem Jahr 1989 zu importieren. Deutsche politische Stiftungen laden Zeitzeugen zu Konferenzen nach Seoul. Zudem haben beide Länder im September beschlossen, ein Beratungsgremium zur Wiedervereinigung einzuberufen.

Die Hoffnung auf ein geeintes Korea wächst, vor allem in der Berichterstattung westlicher Medien. Doch wer sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt, kann nur zu ernüchternden Schlussfolgerungen kommen. Warum dem so ist, wird vor allem im historischen Vergleich mit Deutschland deutlich.

West- und Ostdeutschland haben nie gegeneinander Krieg geführt

Abgesehen vom Zweiten Weltkrieg forderten wenig Auseinandersetzungen mehr Menschenleben als der dreijährige Koreakrieg. Allein unter der Zivilbevölkerung starben über drei Millionen Koreaner, was nicht zuletzt dazu führte, dass sich der politische Hass auf ziviler Ebene verankern konnte – und dort besonders bei der älteren Bevölkerung noch immer fortwirkt.

Der innerdeutsche Kontakt brach niemals vollständig ab

Zeitzeugen betonen immer wieder, wie entscheidend die physische Erfahrung der Mauer für sie war. Gerade Berliner konnten täglich sehen, wo ihre Welt endet. Südkoreaner hingegen dürfen sich der Demarkationslinie nicht nähern, denn das Gesetz verbietet es ihnen. Die Grenzerfahrung wird besonders für die jüngere Generation zunehmend abstrakt. Bis auf die raren Familientreffen, von denen das letzte im Februar stattfand, gibt es praktisch keinen Austausch zwischen den Bevölkerungen. Was sie voneinander wissen, ist zu großen Teilen Propaganda.

Bild nicht mehr verfügbar.

Familientreffen: der Südkoreaner Park Pung-lim (rechts) fotografiert seinen 85-jährigen Bruder Park Chang Sun
Foto: REUTERS/Lee Ji-eun/Yonhap

Die beiden Koreas werden sich zunehmend fremd, und das spiegelt sich nicht zuletzt in der Sprache wider, die sich in Aussprache und Vokabular immer unterschiedlicher entwickelt. Auch physiognomisch ist diese Entfremdung nachzuvollziehen: Nach jahrzehntelanger Unterernährung sind nordkoreanische Jugendliche mittlerweile im Schnitt 13 Zentimeter kleiner und elf Kilogramm leichter als ihre südlichen Altersgenossen, und auch die Lebenserwartung unterscheidet sich um rund zehn Jahre.

Weniger als ein Zehntel aller Südkoreaner sind vor 1940 geboren. Der Anteil an der Bevölkerung, die noch ein geeintes Korea erlebt hat, stirbt aus – und die Zeit kämpft gegen ein geeintes Korea: Noch vor zwanzig Jahren gaben in Umfragen über 90 Prozent aller Südkoreaner an, dass eine Wiedervereinigung "notwendig" sei. Bei den unter 30-Jährigen liegt dieser Wert mittlerweile unter 50 Prozent. Wer unter Seouls Jugend nachfragt, erntet nicht selten Achselzucken und immer öfter harsche Skepsis. Denn für viele steht eine Wiedervereinigung vor allem für die Bedrohung des neugewonnenen Wohlstands.

Kosten wären in Korea ungleich höher

1989 betrug der Wohlstand der DDR-Bevölkerung durchschnittlich ein Viertel von dem Westdeutschlands. Nordkoreas Produktivität beträgt hingegen gerade einmal ein Vierzigstel von der seines Nachbarstaats, gleichzeitig verfügt es mit 25 Millionen über halb so viele Menschen. Die Folgekosten einer Wiedervereinigung wären für Südkorea ein Schock.

Der Ökonom Ulrich Blum, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, forscht seit Jahren zu dem Thema. Er geht davon aus, dass in den ersten Jahren jeweils rund 265 Milliarden an Transferleistungen nötig wären – mehr als das Dreifache der offiziellen Zahlen aus Südkorea und über ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts der Republik. Zudem verfügt das Land über kein Sozialsystem, das die Schicksale der Nordkoreaner abfedern könnte. Auch würden die eklatanten Lohnunterschiede den sozialen Frieden auf eine harte Probe stellen.

Für Südkorea allein wäre eine Wiedervereinigung wohl nicht zu stemmen, und von seinen Nachbarn kann es auf keine Unterstützung hoffen.

Deutsche Wiedervereinigung gebilligt

Im Fall Ost- und Westdeutschlands wären all die Montagsdemos letztendlich für die Katz gewesen, wenn nicht die Sowjetunion einer Wiedervereinigung zugestimmt hätte. Zudem gab es die Strukturen der Europäischen Union, die den deutschen Staat aufgefangen hat. Der gesamte Kontinent hat eine deutsche Wiedervereinigung erst möglich gemacht.

In Ostasien stellt sich die Lage ungleich anders dar: China hat kein Interesse an einem vereinten Korea, denn es befürchtet, amerikanische Soldaten vor seiner Haustür stationiert zu haben. Japan hingegen fürchtet einen gestärkten Konkurrenten.

Längerfristig würde Korea natürlich gestärkt aus einer Wiedervereinigung herausgehen: Allein die Unsummen an Militärausgaben, die eingespart werden könnten, bergen ein riesiges Potenzial; ebenso die Massen an relativ gut ausgebildeten, aber extrem günstigen Arbeitskräften aus Nordkorea. Letztendlich braucht es große Persönlichkeiten aus der Politik, die ihre Bevölkerung für diese längerfristige Vision begeistern können. In Südkorea gibt es davon weit und breit keine.

Der deutsch-koreanische Vergleich zeigt aber auch: Das Land am Han-Fluss kann auf eine über tausendjährige Geschichte zurückblicken, in Deutschland hingegen blieb eine Einigung lange Zeit die Ausnahme. (Fabian Kretschmer, derStandard.at, 17.10.2014)