"Die Kunst ist für ihn vorbei, wenn die Experimentierphase vorbei ist", sagt Kurator Alfred Weidinger über Peter Weibel, den Künstler, Kurator, Medientheoretiker und Lehrenden.


Foto: Peter Weibel

Wien - Ein grundlegendes Problem des Menschseins ist: Man kann unheimlich viele Gedanken mehr oder weniger gleichzeitig hegen. Wenn man sie jedoch mitteilen möchte, muss man sie irgendwie mit Raum und Zeit vereinbaren. Bei dieser "Übersetzung" kann es leicht zur Staubildung kommen. Glücklicherweise gibt es aber Strategien gegen das Nadelöhr, etwa sprechökonomische.

Wenn man der Medienkünstler Peter Weibel (geb. 1944 in Odessa) ist, kann man zum Beispiel vom "Dabundasino" sprechen statt vom Tapp- und Tastkino: Schon hat man sich ein bisschen Zeit und Platz geschaffen für einen weiteren Gedanken. Denn es gibt schließlich Wichtigeres zu besprechen, und den Begriff kennt man ohnehin, oder? Außerdem geht es bei dieser Art von Kino sowieso ums unmittelbare Angreifen und nicht so sehr um langwieriges intellektuelles Erfassen.

Achtung, Gedankensprung!

Es kommt nicht von ungefähr, dass eine von Weibels Prämissen ausgerechnet die Gefangenheit des Menschen in Zeit und Raum ist. Medien, so die weiterführende Annahme, sind die Strategie gegen diese Begrenzung: Dank ihnen kann sich der Mensch haltbar machen, vervielfachen oder seine Gedanken zu noch höherer Komplexität treiben.

Die vielfältigen Formen von Scherereien, die durch solche "Prothesen" entstehen - und zwar nicht erst seit Fernsehen und Smartphone, sondern seit dem ersten in Stein geritzten menschlichen Lebenszeichen -, sind dabei ein zentrales Forschungsgebiet des "Polyartisten" Weibel. Unermüdlich betreibt er Grundlagenforschung über die Differenz zwischen der Welt und ihren Abbildern, über Wahrnehmung und Denken und deren Zusammenhänge mit dem gesellschaftlichen Großen und Ganzen.

Einen Einblick in die Gedankenwelt Weibels, der auch als Kurator und Lehrender tätig ist, erhält man derzeit in einer Personale im 21er-Haus. Sie trägt den Untertitel "Medienrebell" und warnt außerdem gleich vor sich selbst: "Diese Ausstellung kann Ihr Leben verändern!" Wenn das Publikum nach der Schau kein neues Bild von der Welt gewonnen habe, sei er "als Künstler gescheitert", sagt Weibel, der 2014 den Oskar-Kokoschka-Preis für sein Lebenswerk erhielt.

Zeigen möchte Weibel etwa, dass es - anders als Politiker behaupteten - "Alternativen" gibt. In einer Installation wirft ein Projektor das Wort "possible" an die Wand - scheinbar! Tritt man nämlich in den Lichtkegel, stellt man fest, dass das Wort aufgeklebt ist, dass also "das Mögliche" zur "richtigen" Welt gehört, nicht zur virtuellen.

Zwischen Containern und Regalen sind manche solcher Aha-Erlebnisse versteckt: in Form von Objekten, Videos, Installationen. Das volle Ausmaß von Weibels Schaffen ist dabei nur zu erahnen. Man habe von den rund "250 Lebenskisten" Weibels wohl nur sieben öffnen können, schätzt Kurator Alfred Weidinger.

Sicher: Wenn Weibel 2014 wortgewaltig und leidenschaftlich eine Installation erklärt, in der ein Videobild aufgezeichnet wird und mit Zeitverzögerung wiedergegeben wird, entbehrt das nicht einer gewissen Komik. Andererseits sind vielleicht genau die Basics immer wieder zu hinterfragen. Reizvoll sind jene Teile der Schau, in denen es um den Körper als Gegenpol zum allzu Abstrakten geht: um den Schmerz, der laut Kafka bekanntlich das einzig Reale ist. (Roman Gerold, DER STANDARD, 17.10.2014)