Wien - Während Lesben und Schwule in Europa und anderen Teilen der westlichen Welt großteils gesellschaftlich akzeptiert und rechtlich gleichgestellt sind, verschlechtert sich ihre Lage anderswo zunehmend. Neue Verbotsgesetze und Verfolgung in einer Reihe afrikanischer und arabischer Länder sowie in Staaten wie Afghanistan, Pakistan und Iran zwingen Homosexuelle zu einem Leben im Verborgenen - und treiben viele in die Flucht.

Das verleiht einem im September erfolgten Spruch des Verfassungsgerichtshofs zum Fall eines schwulen Mannes aus Nigeria, der in Österreich um Asyl ersucht hat und es von den Höchstrichtern zuerkannt bekam, Brisanz - der Entscheid liegt dem STANDARD vor: Homosexuellen Flüchtlingen sei nicht zumutbar, nach der Rückkehr in ihr Heimatland gezwungen zu sein, das Schwul- oder Lesbischsein geheimzuhalten oder auch "Zurückhaltung beim Ausleben der sexuellen Ausrichtung zu üben, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden", heißt es darin.

"Bahnbrechendes Urteil"

Damit wertet das österreichische Verfassungsgericht ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg aus dem Jahr 2013 auf, das laut Judith Ruderstaller, Rechtsberaterin bei der NGO Helping Hands, für homosexuelle Flüchtlinge "bahnbrechend" ist. Doch bisher seien ihm die österreichischen Asylrichter nur zum Teil gefolgt. Ruderstaller: "Bei Lesben und Schwulen aus Iran, Afghanistan und dem Irak wurde das angewandt, in Fällen Homosexueller aus Pakistan, Bangladesch und Nigeria hingegen nicht."

Im vorliegenden Fall hatte der seit 2011 in Österreich lebende Westafrikaner angegeben, dass sein Partner in Nigeria von einer wütenden Menge getötet worden sei, nachdem sein Vater sie daheim beim Geschlechtsverkehr überrascht habe. Im Unterschied zu anderen Flüchtlingen aus Westafrika, die laut Ruderstaller oftmals "Ähnliches erzählen" und als unglaubwürdig bezeichnet werden, zweifelten die Asylrichter hier von Anfang an nicht am Wahrheitsgehalt der Schilderung.

Lage in Nigeria verkannt

Vielmehr stellten die Asylrichter infrage, ob dem Mann in Nigeria im Fall seiner Rückkehr wirklich Schlimmes bevorstehen würde: eine Einschätzung, die laut den Verfassungsrichtern auf einer "Verkennung der Rechtslage" durch die zweite Asylinstanz, das Bundesverwaltungsgericht, basiere.

Denn als Grundlage seiner Entscheidung habe das Bundesverwaltungsgericht Länderberichte herangezogen, die aus der Zeit vor einer Gesetzesverschärfung gegen Homosexuelle in Nigeria im Jahr 2013 stammten. Somit sei ihre Lagebeurteilung nicht mehr aktuell: Seit Mai 2013 droht gleichgeschlechtlichen Paaren, die ihre Zuneigung öffentlich zeigen, in Nigeria bis zu 14 Jahren Haft. Auf die Gründung und Unterstützung von Clubs oder Organisationen für Lesben und Schwule stehen seither zehn Jahre Gefängnis.

Anwalt erfreut

Zwar wurden inzwischen nur wenige Verurteilungen nach diesen neuen Regelungen bekannt. Doch auch abseits davon wächst in Nigeria die Gefahr für Homosexuelle - nicht nur in den nördlichen Landesteilen, wo inzwischen weitgehend die Scharia herrscht. Der Anwalt des Mannes aus Nigeria, Christian Schmaus, begrüßte den Spruch: Die vorhergehende Entscheidung gegen ihn sei "überraschend" gewesen, "da man ihm ja seit Beginn glaubte". (Irene Brickner, DER STANDARD, 17.10.2014)