Der Alte lässt sich etwas zuschulden kommen, der Sohn muss ihn verteidigen. Hank Palmer (Robert Downey jr., li.) neben seinem Vater Judge Joseph Palmer (Robert Duvall, Mi.).

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Wien - Die Fahrt nach Hause in die Provinz dient im US-Kino traditionell der Suche nach ursprünglicher Identität. Manchmal entstehen in diesem Zusammenhang kluge Beobachtungen des anstrengenden Gefälles an Individualität und Authentizität zwischen da und dort, zum Beispiel in einer der besten Folgen der Serie Girls oder in Jason Reitmans Young Adult. Häufiger aber kommt es zu öden Herzlandbeschwörungen, wie in This Is Where I Leave You (Sieben verdammt lange Tage).

In The Judge durchläuft ein arroganter Anwalt den Prozess des Heimkommens. Hank Palmer (faxenreich: Robert Downey jr.) muss zur Familie, die Mutter ist tot, nun sind die Männer unter sich. Sein Vater ist nicht gerade sein bester Freund und ein Inbegriff von Autorität: Judge Joseph Palmer (bemüht alttestamentarisch: Robert Duvall) sitzt seit Jahrzehnten über die Leute im County in Carlinville, Indiana, zu Gericht. Er ist rechthaberisch im vollsten Sinne des Wortes. Und Hank ist davon die Karikatur, wie sich in der schon überdeutlichen ersten Szene auf einer Herrentoilette zeigt.

Es kommt, wie es kommen muss: Der Vater lässt sich etwas zuschulden kommen, der Sohn muss ihn verteidigen. Bezeichnenderweise war er bisher darauf spezialisiert, die übelsten Schurken herauszuhauen. Das Gerichtsdrama ist aber nur der rote Faden, an dem die Familien- und die Dorfgeschichte hängen. Hank hat noch eine Verflossene in der Stadt, die nun, da er in Chicago vor den Trümmern der eigenen Familie steht, wieder interessant für ihn wird (die Tochter kommt allerdings für ein Heimfahrwochenende vorbei).

Vera Farmiga verleiht dieser Rolle durchaus Glaubhaftigkeit, sie muss allerdings mit einer äußerst flüggen Tochter wetteifern, für die sich die Drehbuchautoren Nick Schenck und Bill Dubuque noch einen besonderen Spannungsfaktor ausgedacht haben. Es ist dies einer von vielen Momenten, in denen ein Hang zum Epischen an einer schwachen Charakterprofilierung scheitert. Regisseur David Dobkin hat wenig Sinn für den Atem einer solchen Geschichte, er sucht immer den direkten Weg zur Botschaft, als käme man mit einem Einkaufswagen ins Kino, in den aus jeder Szene wie aus einem Regal etwas gelegt werden muss.

Für den mittlerweile 83 Jahre alten Robert Duvall ist The Judge noch einmal ein großer Auftritt, mit dem er auch Mut zur Schwäche zeigen muss. Es ist ja inzwischen Gemeingut, dass die eigentliche Schlüsseldisziplin für gutes Schauspiel in Hollywood nicht die nuancierte Darstellung von Menschen ist, sondern der große Zerfall. Und eine Figur von der anmaßenden Autorität eines Judge Palmer ist damit natürlich nur die Grundlage für einen Starveteranen, ihn gründlich auseinanderfallen zu lassen.

Da wirkt dann sogar Downey jr. daneben manchmal fast zurückhaltend. The Judge ist sentimentales Männerkino par excellence, eine öde Huldigung an das weiße Geschlecht, das demografisch allmählich an den Rand rückt, im Kino aber immer noch die amerikanische Identität und das Heartland des Mittleren Westens hüten soll. Und die Oscars, derentwegen solche Filme wohl vor allem gemacht werden. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 17.10.2014)