Überraschung auch bei den Spielern: die großalbanische Fahne über dem Spielfeld (li.).

Das Fußballspiel zeigte, wie leicht es noch immer ist, nationalistische Gefühle in Südosteuropa zu instrumentalisieren. Das Qualifikationsspiel zwischen Serbien und Albanien für die EM 2016 wurde von Anfang an als ein Spiel mit hohem Sicherheitsrisiko eingestuft. Vorsichtshalber waren albanische Fußballfans ausgeschlossen worden, Sondereinheiten der Polizei sicherten das Gelände um das Stadion in Belgrad ab und durchsuchten alle Zuschauer. Doch zu Ende der ersten Halbzeit, beim Stand 0 : 0, flog eine Drohne über dem Fußballfeld, genauer ein Quadrocopter, der eine Fahne, die auf den ersten Blick wie die Staatsflagge Albaniens mit dem schwarzen Adler aussah, trug. Und da brach das Tohuwabohu aus.

Der serbische Innenverteidiger Stefan Mitrovic schnappte sich die Fahne, albanische Spieler wollten sie "verteidigen", eine Schlägerei brach aus, serbische Fans stürmten auf das Feld. Das Spiel wurde nach intensiven Verhandlungen zwischen Vertretern des serbischen und des albanischen Fußballverbands und der Uefa abgebrochen. Die Uefa wird in den kommenden Wochen ein Urteil über den politisch heiklen Zwischenfall geben.

Politische Provokation

Der serbische Außenminister Ivica Dacic sprach von einer "durchdachten politischen Provokation". Er sagte, dass Serbien gar keine Verantwortung für den Zwischenfall trage. Serbische Medien hatten sofort einen Verdächtigen - Olsi Rama, den Bruder des Ministerpräsidenten Albaniens Edi Rama, der in der VIP-Loge zusammen mit dem serbischen Staatspräsidenten Tomislav Nikolic und anderen Staatsfunktionären saß. Angeblich sollen albanische Spieler die Drohne mit der Fahne auf den Spielplatz geschmuggelt und Olsi Rama sie ferngesteuert haben, schrieben serbische Medien.

Die albanische Regierung dementierte dies umgehend: Alle albanischen Stadionbesucher seien beim Betreten der Sportanlage durchsucht worden. Man hoffe, dass die UEFA eine faire Untersuchung einleiten werde.

Albaner: Keine Festnahmen

Blendi Fevziu, ein albanischer Journalist, der zu jenen etwa 35 Personen aus Albanien gehörte, die beim Spiel dabei sein durften, erzählt dem Standard, dass keiner der Albaner, die in den VIP-Boxen saßen, von serbischen Sicherheitskräften festgehalten wurde - auch nicht Olsi Rama. Olsi Rama bestätigte dies auch, als er zurück nach Tirana kam.

"Nachdem die Drohne aufgetaucht war, brachte uns die serbische Polizei gleich in Sicherheit und aus dem Stadion, und wir mussten vier Stunden in einem speziellen Raum warten", erzählt Fevziu. Mittlerweile wird von vielen angenommen, dass die Drohne von außerhalb des Stadions gesteuert worden ist. Fevziu meint, dass es für die Besucher des Matchs unmöglich gewesen sei, irgendwelche Geräte mit hineinzunehmen. "Die Sicherheitsmaßnahmen waren wahnsinnig hoch, wir mussten sogar unsere Geldmünzen abgeben", erzählt er.

"Im Stadion war ich allerdings über die Aggressivität völlig überrascht. Die Leute drehten sich zu uns und riefen: Wir töten die Albaner!", sagt er. Fevziu meint, dass sich die serbische Polizei aber äußerst korrekt und professionell verhalten habe. Um drei Uhr in der Früh seien dann alle Albaner (das Team, die VIP-Gäste und die Journalisten) nach Tirana zurückgeflogen.

Rama will trotzdem nach Belgrad reisen

Obwohl der Zwischenfall den für nächste Woche angekündigten Besuch von Edi Rama in Belgrad, den ersten Besuch eines Regierungschefs Albaniens seit 1967, überschattet, kündigte Rama an, er werde trotzdem reisen. Der albanische Intellektuelle Fatos Lubonja kritisiert, dass Rama die Provokation mit der Fahne nicht sofort verurteilte.

"Die Stimmung in Albanien war schon vor dem Spiel nationalistisch aufgeladen, und jetzt schreiben Medien, dass wir stolz sein sollen, dass Albaner ihre Flagge verteidigten. Dabei ist das überhaupt nicht unsere Flagge", so Lubonja zum Standard. "Das Ganze zeigt, wie weit wir davon entfernt sind, Europäer zu werden."

Die Fahne war eine Abbildung eines "Großalbaniens", wie es von Ultranationalisten erdacht wird. Daneben waren Ismail Qemali und Isa Boletini zu sehen, Politiker, die die Unabhängigkeit Albaniens beförderten. Das Wort "autochtonous" darunter sollte offensichtlich Gebietsansprüche unterstreichen. (Adelheid Wölfl, Andrej Ivanji aus Belgrad, DER STANDARD, 16.10.2014)