In einem IS-Propagandavideo taucht Oliver N. auf. Er lebte bis vor wenigen Wochen in Wien, hatte eine Lehrstelle und besuchte die Berufsschule. Zu Freunden hat er keinen Kontakt mehr.

Screenshot: Youtube

Wien - Vor fünf Wochen hat Claudia W. zum letzten Mal von ihrem Bekannten Oliver N. gehört. Damals schrieb er eine SMS, dass er keinen Alkohol mehr trinke und nicht mehr mit ihr fortgehen könne. W. wunderte sich zunächst nicht darüber, hatte sie doch erst erfahren, dass sich N.s Mutter in einer Entzugsklinik befindet. Ein paar Tage zuvor hatte N. bei einer Party von seiner süchtigen Mutter erzählt. Doch immer öfter tauchten auch "muslimische Sprüche", wie W. sie nennt, auf N.s Facebook-Seite auf. Er war zum Islam konvertiert. Einmal postete er ein Foto von einer verschleierten Person und schrieb dazu: "Meine Frau."

Plötzlich nicht in der Schule

W. begann sich Sorgen zu machen, weil sich N. so sehr verändert hatte und auch nicht mehr mit ihr reden wollte, da sie eine Frau sei. "Es war, als ob sich ein Schalter bei ihm umgelegt hätte", sagt die junge Frau. Von einem Freund erfuhr sie, dass N. nicht mehr in die Berufsschule kam. Von seinem Arbeitgeber wurde er Anfang September entlassen, wie DER STANDARD erfuhr.

Im Bekanntenkreis hatte niemand mehr Kontakt zu dem gerade erst 16-jährigen Mann. Auf Facebook entfernte er die Freunde. Umso überraschter waren die Jugendlichen, als N. vergangene Woche in einem Bericht des deutschen Nachrichtensenders N24 zu sehen war.

Aufruf zum Schlachten Ungläubiger

Gezeigt wurde ein Ausschnitt aus einem IS-Propagandavideo. Ein blonder junger Mann mit Kopftuch steht in einem großen Schlachthaus und gibt an, sich in Rakkat in Syrien zu befinden. Hinter ihm sind Schafe zu sehen, die geschlachtet werden. Er ruft Muslime dazu auf, in ihren Heimatländern Kafirn (Ungläubige) zu schlachten und sich dem "Islamischen Staat" anzuschließen.

Im Fernsehbericht wird spekuliert, dass es sich im Propagandavideo um einen Deutschen handeln könnte, der nicht älter als 25 Jahre alt sei. Dass aber offenbar ein deutschsprechender minderjähriger Österreicher zu sehen ist, war zu dem Zeitpunkt nicht bekannt. Das Innenministerium in Österreich will nicht weiter auf den Einzelfall eingehen. Sprecher Karlheinz Grundböck sagt zum STANDARD nur, dass es auch junge Männer aus Deutschland und Österreich gebe, die sich entschließen, in den Jihad zu ziehen.

100 Ermittlungsverfahren in Österreich

Erst am Montag war bekannt geworden, dass die österreichischen Behörden bisher knapp 100 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Jihadisten eingeleitet haben. Aktuell seien rund 150 mögliche Extremisten aus Österreich nach Syrien gereist oder am Weg dorthin gestoppt worden, hieß es aus dem Ministerium.

Zwei Mädchen aus Wien waren bereits im April verschwunden. Nach Angaben ihrer Eltern, bosnischen Flüchtlingen, die in den 1990er-Jahren nach Österreich gekommen waren, hatten Samra K. und Sabina S. gesagt, in Syrien für den Islam kämpfen zu wollen. In den vergangenen Wochen gaben sie via Facebook immer wieder Lebenszeichen von sich. Auf Fotos waren sie vollverschleiert zu sehen, und es wurde spekuliert, dass die Mädchen mit tschetschenischen Kämpfern verheiratet wurden und bereits schwanger seien. Interpol fahndet nach ihnen.

Laut Medienberichten wollen beide mittlerweile nach Österreich zurück, auch dazu gibt es aus dem Innenministerium keine Stellungnahme. Sollten die beiden zurückkehren, droht ihnen laut dem Innsbrucker Strafrechtler Andreas Venier aber keine harte Strafe. "Man kann nicht einfach annehmen, dass jede Ausreise nach Syrien die Teilnahme an einer terroristischen Kampfeinheit bedeutet", sagte er am Dienstag zur APA. Die Schuld müsse im Einzelfall nachgewiesen werden.

"Er hatte es im Leben nicht sehr leicht"

Das könnte auch für Oliver N. gelten. Weist man ihm die Beteiligung an einer Terrorgruppe nach, drohen ihm als Minderjährigem bis zu fünf Jahre Haft. Das ist für Jugendliche jedoch die Höchststrafe, und es gibt wichtige Milderungsgründe, etwa Einschüchterung oder Verführung durch andere Personen.

N.s Bekannte Claudia W. hofft, dass er wieder nach Österreich zurückkommen wird: "Er war ein äußerst lieber Mensch, der es im Leben nicht sehr leicht hatte." (Rosa Winkler-Hermaden, DER STANDARD, 15.10.2014)