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Kim Jong-un auf dem am 14. Oktober veröffentlichten Bild.

Foto: EPA/Rodong Sinmun

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Fehlende öffentliche Auftritte von Kim Jong-un in den vergangenen 40 Tagen hatten Spekulationen über seinen Gesundheitszustand ausgelöst.

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Nordkoreas Führer ist wieder da und geht am Krückstock. Aber er führt wieder seine Landsleute öffentlich an. Das meldete Nordkoreas Nachrichtenagentur KCNA und zeigte das erste Foto von Kim mit einer Gehhilfe. Er ging vermutlich am Montag auf Inspektion eines Wohnbezirks in seiner Hauptstadt spazieren. Es war das erste öffentliche Erscheinen des seit 40 Tagen ohne Erklärung verschollenen, als krank, gestorben oder gestürzt vermuteten Machthabers Kim Jong-un.

Südkorea, Peking und Washington atmen auf, obwohl der im Jänner 2014 erst 31 Jahre alt gewordene, mit Marschall angeredete Kim einer der weltweit skrupellosesten Diktatoren ist und die Europäer an UN-Resolutionen basteln, um ihn wegen Menschenrechtsverletzungen vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag anklagen zu lassen. Denn nun wissen alle wieder, mit wem sie es im hochgerüsteten und unberechenbaren Atomwaffenstaat Nordkorea zu tun haben.

Alle tappten im Dunkeln: Am Montag hatte Südkoreas Generalstabschef, Admiral Choi Yun-hee, dem Parlament in Seoul zwar versichert, er gehe davon aus, dass Kim weiter uneingeschränkt die Kontrolle über den Norden ausübt. Er berufe sich auf die Erkenntnisse seiner militärischen Aufklärung. Doch auch der Generalstabschef vermochte nicht zu sagen, was mit Kim los ist oder wo er ist. Die Gerüchteküche brodelte, als Kim vergangenen Freitag auch nicht an der traditionellen Verbeugungsfeier vor den Kristallsärgen seines Großvaters und Staatsgründers Kim Il-sung und seines Vaters im Sonnenpalast zum Jahrestag der Parteigründung teilnahm.

Peking: Keine "unnormalen Vorgänge"

Die Nachrichtenagentur Yonhap zitierte zudem südkoreanische Diplomaten, die nun auch von China informiert wurden. Intern hätten ihnen Pekinger Politiker ihre Erkenntnisse übermittelt, wonach China bislang keine "unnormalen Vorgänge" in der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Lage in Nordkorea erkennen konnte. Aber auch Peking, dessen Zeitungen ebenfalls wild über den Verbleib Kims spekulierten, konnte nichts Konkretes mitteilen. Seit seinen drei unterirdischen Atomtests sind Pjöngjangs Beziehungen zu Peking gespannt. China beteiligt sich an den UN-Sanktionen.

Für erste Aufklärung sorgte nun Nordkoreas Nachrichtenagentur KCNA. Sie berichtete am Dienstagvormittag ausführlich auch über die Spontananweisungen, die der Marschall und Armee-Oberkommandierende Kim Jong-un bei seinem Besuch eines neugebauten Wohnbezirks in der Hauptstadt Pjöngjang vor Ort abgab: Er habe sich zufrieden über die Bauqualität geäußert und das ansprechende Aussehen des neuen Wisong-Wissenschaftsbezirks mit seinen mehrfarbigen Wohnblocks gelobt. Die Apartments seien komplett mit Qualitätsmöbeln eingerichtet. Die Wissenschafter bräuchten beim Einzug nichts mitzubringen, wenn alle Wohnungen mit Farbfernsehen, Steppdecken und Haushaltsartikeln ausgestattet sind, wofür die Partei sorgen würde. Sie müssten sich so um gar nichts mehr kümmern, könnten sich "mit Herz und Seele" ihrer Forschung widmen. "Unsere Wissenschafter sind Patrioten, die ihr Leben in den Dienst des Aufbaus einer reichen und mächtigen Nation stellen. Sie sind überzeugt, dass es in der Wissenschaft keine Grenzen gibt. Sie haben ein sozialistisches Mutterland und stehen unter der Fürsorge der Partei." Es sei "notwendig, dass sie eine Vorzugsbehandlung erhalten und immer Sorge für sie getragen wird".

Zuletzt Anfang September gesehen

Kim muss trotz Krückstocks wieder gut zu Fuß sein. Denn er soll auch noch neben dem Wohnviertel das neugebaute Institut für natürliche Energien an der Staatsakademie für Wissenschaften besucht haben. Zuletzt war der übergewichtige Kim öffentlich zusammen mit seiner Frau Ri Sol-ju bei einem Besuch des Mansudae-Theaters in Pjöngjang am 3. September gezeigt worden. Dort gab die Moranbong-Musikgruppe eine Aufführung.

Seit dem Verschwinden Kims gab es widersprüchliche Nachrichten aus dem hermetisch abgeschlossenen Land. Zuerst kam es in der Abwesenheit von Kim zum überraschenden Südkorea-Besuch von zwei seiner höchsten Stellvertreter. Sie trafen im Staatsflieger Kims zur Abschlussveranstaltung der Asienspiele ein und warben für die Wiederaufnahme von Annährungsgesprächen mit dem verfeindeten Bruderstaat Südkorea. Aber schon bald darauf beschossen sich Nord- und Südkorea wieder auf See und auf dem Land. Zuletzt feuerten nordkoreanische Soldaten Maschinengewehrsalven auf Propagandaballons aus dem Süden, die Flugblätter transportierten.

Beiden Staaten haben seit dem Koreakrieg 1953 bis heute noch keinen Friedensvertrag geschlossen. Sie stehen sich hochgerüstet an ihrer verminten Waffenstillstandsgrenze gegenüber. Nordkorea forderte nun erneut den Süden ultimativ auf, Wiedervereinigungsgespräche aufzunehmen.

Reaktionen auf UN-Report

Weltweit ist das Land isoliert. Seine Diplomaten hatten vergangene Woche erstmals die Menschenrechtsbilanz ihres Terrorregimes vor den Vereinten Nationen verteidigen müssen. Sie reagierten auf einen im Februar von einer UN-Kommission veröffentlichen Report über unvorstellbar grausame, systematisch begangene und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen von Folter bis Versklavung. Im Report, der sich auch auf hunderte Aussagen von Flüchtlingen aus Nordkorea stützt, wird detailliert von derzeit 80.000 bis 120.000 politischen Häftlingen in fünf großen Konzentrationslagern (Gulags) des Landes berichtet.

Nordkoreas Diplomaten nannten das eine Lüge. Es gebe keine solchen Lager, nur Haftanstalten, wo Verurteilte "durch Arbeit reformiert" würden. Südkoreas Nachrichtenagentur meldete, dass EU-Diplomaten hinter verschlossenen Türen schon an einem Entwurf für eine UN-Resolution arbeiteten, um Führer Kim vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) anklagen zu lassen. (Johnny Erling aus Peking, derStandard.at, 14.10.2014)