Der Europaparlamentarier Markus Ferber übt heftige Kritik an der Budgetpolitik Frankreichs und Italiens.

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STANDARD: Frankreich geht für 2015 von einem Budgetdefizit von 4,3 Prozent aus. Wird die EU-Kommission ein Veto einlegen?

Ferber: Wenn sie die Spielregeln, die erst vor zwei Jahren verabschiedet wurden, ernst nimmt, muss sie einschreiten. Mitgliedsstaaten müssen Haushalte vorlegen, die dauerhaft darauf ausgerichtet sind, ausgeglichen zu sein. Dieses Ziel wird Paris massiv verfehlen. Ich gehe also davon aus, dass die Kommission am 15. Oktober sowohl bei Frankreich als auch bei Italien einschreitet und erstmals einen Entwurf ablehnt. Beide Länder tun den Vorgaben des verschärften Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht Genüge.

STANDARD: Und nach der "gelben Karte"?

Ferber: Danach haben beide Länder einen Monat Zeit, entsprechende Korrekturen an ihren Haushaltsentwürfen vorzunehmen. Sollte das nicht stattfinden, muss die Kommission die Sanktionskarte ziehen: 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts eines Jahres müssten als unverzinste Einlage bei der EZB hinterlegt werden.

STANDARD: Es gibt genügend Stimmen, die da so ihre Zweifel haben.

Ferber: Sollte die Kommission die laxe Haushaltsführung durchgehen lassen, wäre das Vertrauen der Finanzmärkte in die gemeinsame Währung erschüttert. Es würde wieder zu deutlichen Zinsaufschlägen, und hier insbesondere bei den Peripherieländern im Süden Europas, kommen. Mit anderen Worten: Den Preis zahlen am Ende nicht die Verursacher, sondern Portugal, Spanien und Griechenland.

STANDARD: Könnte Frankreich Brüssel dennoch zur Nachsicht bewegen?

Ferber: Für Frankreich wurde ja bereits für zwei Jahre eine Ausnahme gemacht. Es geht es ja nicht nur darum, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, sondern auch darum, die Neuverschuldung auf unter drei Prozent der wirtschaftlichen Leistung zu drücken. Die Frist, die Paris dafür bekommen hat, hätte eigentlich genutzt werden sollen, um Reformen umzusetzen. Paris hat nicht geliefert. Daher wüsste ich nicht, warum man jetzt Milde walten lassen sollte. Untätigkeit darf nicht noch durch die Kommission belohnt werden.

STANDARD: Kommissionspräsident José Manuel Barroso übergibt mit Ende Oktober an Jean-Claude Juncker. Für beide wäre ein Streit mit Paris unangenehm.

Ferber: Das mag zwar menschlich verständlich sein, doch sind diese Kriterien nicht Teil des Regelwerks. Eine Europäische Kommission, die beim ersten Anwendungsfall die Spielregel, die Frankreich und Italien ja selbst mitverabschiedet haben, mit Füßen tritt, erzeugt zwei Probleme. Zum einen: Die Länder, die einen Reformdruck durch die Troika auferlegt bekommen haben, werden berechtigterweise fragen, warum sie Reformen durchgeführt haben, wenn es denn auch anders geht. Zum anderen wird das Vertrauen in die gemeinsame Währung bei institutionellen Anlegern außerhalb der Europäischen Union dauerhaft erschüttert. Das führt zwangsläufig dazu, dass es innerhalb der Eurozone wieder zu Verwerfungen kommt, weil die Zinsunterschiede von Staatsanleihen deutlich zunehmen werden.

STANDARD: Mit der derzeitigen Politik der EZB sind Sie auch nicht ganz glücklich. Hauptkritikpunkte?

Ferber: Die EZB hat einen Maßnahmenkatalog verabschiedet, der zum Ausdruck bringt, dass sie an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gelangt ist. Eine Notenbank kann nicht mangelndes politisches Handeln durch geldpolitische Maßnahmen ersetzen. Genau das versucht die EZB aber zurzeit: Sie vergemeinschaftet Schuldenkredite über die Hintertür. Das ist nichts anderes als die Kapitulation vor der Handlungsunfähigkeit nationaler Regierungen. (Sigrid Schamall, DER STANDARD, 14.10.2014)