Das rauschhafte Gespenst des Gewinnens: "Victory Smoke".


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Graz/Wien - Wenn alles immer schneller gehen muss, dann wird die Forderung nach Vereinfachung zum Gesetz. Ungeduld gerät zur Norm, und Komplexität muss ausgeblendet werden. Hartnäckig halten sich in der zeitgenössischen Choreografie Versuche, die Ideologie der unbedingten Effizienz zu schwächen und auf das Erleben der Wirklichkeit in ihrem tatsächlichen Reichtum zu verweisen.

Ein Beispiel dafür ist die jüngste Arbeit Victory Smoke der italienischen Gruppe Barokthegreat, ein weiteres die Film-Performance-Installation An Elegy to the Medium of Film des schwedisch-britschen Künstlerduos Lundahl & Seitl. Beide sind Teil des Programms beim aktuellen Steirischen Herbst. Einen weiteren Aspekt hat das Tanzquartier Wien gerade mit bodies in tubes von Saskia Hölbling und Laurent Goldring gezeigt.

Drei fabelhafte Kunstwerke, die es allerdings bei einer Abstimmung in unserer "like"-neurotischen Servicekultur nicht einfach hätten. Denn nur Lundahl & Seitl holen ihr Publikum - buchstäblich - ab. Allerdings ist jede ihrer Performances im Grazer Schauspielhaus nur für fünf Besucherinnen und Besucher gemacht. Nicht sehr effizient, aber dafür von beeindruckender Qualität.

Das Publikum wird Schritt für Schritt in einen Film hineingezogen. Das anfängliche Schauen öffnet den Vorstellungsraum: ein Wald, ein Gewässer, ein Mann, ein Haus. Ein Bild, Pieter Brueghels Winter, das in Lars von Triers Melancholia vorkommt. Und eine Stimme im Haus erwähnt Laura Palmer aus David Lynchs Twin Peaks. Rezeption heißt hier, sich in die Kamera zu versetzen und Erinnerungen an gesehene Filme lebendig werden zu lassen. Bis es dunkel wird und in der Finsternis ein Körperkontakt stattfindet.

Unsichtbare Gestalten führen durch den Raum. Geräusche und eine leise Stimme wecken die Welt innerer Bilder. Assoziationen werden geweckt und einige der Labyrinthe, die bisherige Erfahrungen in uns gebaut haben, intensiv spürbar.

Auf ihren Sitzen dagegen bleiben die Zuschauer bei Barokthegreat. Und sie fühlen sich garantiert nicht abgeholt in Victory Smoke, wenn da zwei Musiker und fünf Tänzer im Halbdunkel aktiv werden. Über der Bühne schwebt ein auf den Kopf gestellter weißer Berg. Die Tänzer platzieren sich in seinem Schatten. Ab da beginnt eine auf Mehrdeutigkeit ausgerichtete Choreografie, in die das Wahrnehmen wie in einen dichten Nebel gleitet. Dieser Nebel des Sieges reißt nur auf, wenn in der Vorstellung des Zuschauers die Ambivalenz allen Siegens konkret wird.

Victory Smoke ist ein Spiel über die Täuschungen des Triumphgefühls, über das rauschhafte Gespenst des Im-Licht-Stehens. Die schwarz gekleideten Darsteller wirken wie Inkarnationen eines Menetekels: Siege können böse sein, denn sie erzeugen Verlierer und zerstören oft deren Existenz. Bereits die Aussichten auf Siege produzieren vielfach Tod und Vernichtung.

So deutlich wird Barokthegreat nicht, denn Victory Smoke ist kein Pamphlet, sondern navigiert sein Publikum in der Asche eines Orts zwischen zwei Verbrechen: dem letzten und dem nächsten "Sieg". Dem nicht unähnlich scheint Hölblings am Wochenende im Tanzquartier Wien uraufgeführtes Duett bodies in tubes. Zwei Körper versuchen, sich in eng aneinandergehängten Schuttrutschen zu halten.

Wie in ihren beiden Vorgängerarbeiten, body in a metal structure und bodies (with)in fences, lässt Hölbling auch hier dem Unheimlichen seinen scheinbar abstrakten Lauf. Wieder ein Gestell, aus dem der Körper nicht herausfindet. Doch hier wird das Klaustrophobische unserer Existenz am Radikalsten sichtbar gemacht: als Körper, die nur noch Abraum der sie beherrschenden Systeme sind. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 13.10.2014)