Wien - Pianisten gibt es bekanntlich wie Sand am Meer, und während alle Welt exzellente Musiker hervorbringt, kommen solche mit besonders stupender Technik mit schöner Regelmäßigkeit aus dem Reich der Mitte. Der Markt schreit nach immer neuen Attraktionen, und er bekommt sie auch.

Yuja Wang ist eine 27-jährige Chinesin mit allen erwartbaren staunenswerten Eigenschaften. Aber sie ist keine Sensation. Sie ist ein Wunder. Ihre Virtuosität würde nach Superlativen schreien. Bei ihrem Recital im Konzerthaus demonstrierte sie ihre diesbezüglichen Fähigkeiten freilich erst am Ende mit Balakirews "Islamej"-Fantasie und den ersten Zugaben. Doch nicht nur ihre ebenso unbegreifliche wie unbeschreibliche Technik ist wie von einem anderen Stern, vermittelt sie doch den Eindruck, als hätte sie das Klavierspiel einfach mal schnell neu erfunden. Vor allem verfügt sie über eine selbstverständliche Leichtigkeit gegenüber den größten pianistischen Herausforderungen, die es ihr erlaubt, noch die rasendsten Kaskaden filigran dahinhuschen zu lassen und zart zu gestalten.

Klangsinn in der doppelten Bedeutung des Wortes bewies sie im gesamten, ambitionierten und überaus gewichtigen Programm. In drei Liedern (in der Liszt'schen Bearbeitung) von Schubert und dessen großer A-Dur-Sonate D 959 stimmte praktisch alles: ein harmonisch ausbalancierter Klang, ein singendes Legato, perlende, doch nie oberflächliche Geläufigkeit, vor allem aber eine interpretatorische Unmittelbarkeit, die in jedem Augenblick zu entstehen schien. Und auch die kluge Auswahl von Werken Skrjabins von Preludes bis zur 9. Sonate ("Schwarze Messe") war von funkelnder expressiver Kraft.

Yuja Wang verfügt über Spontaneität, Reife und Tiefe, die manche der ganz großen Namen in den Schatten stellen könnte. Schwindelerregend indes auch ihr Konzertkalender. Dass jemand in einer solchen Gedrängtheit so gelöst und vollendet spielen kann - auch das bereits ein Wunder. (Daniel Ender, DER STANDARD, 13.10.2014)