Der amerikanische Stararchitekt hat im Bois de Boulogne ein Segelboot mit zwölf riesigen Glassegeln anlanden lassen. Weitere Insignien: gewaltige Stahlträger und Holzleimbinder. Viel Luft, viel Show, viel Konstruktion.

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Frank Gehry hat in Paris die verlorene Zeit gefunden.

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Auftraggeber Bernard Arnault war sich sicher, dass die Bowlinghalle, die zuvor an diesem Platz stand, nicht fehlen würde. Nun steht hier ein Albino-Marienkäfer, der den Panzer öffnet.

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Er ist ein riesiger Eishockey-Fan, ein Eishockeypokal-Designer, ein Lebemann und Genießer, er ist enger Freund von Daniel Barenboim und der US-Künstler Claes Oldenburg und Richard Serra. Und er ist das, was die Medien so gerne als Stararchitekt bezeichnen. Das war nicht immer so. "Als ich denen in Bilbao damals meine Modelle und Entwürfe gezeigt habe, wollten die mich umbringen", erzählte er unlängst in einem Interview. "Da war ein baskischer Künstler, der schrie: 'Tötet diesen amerikanischen Architekten!' Es war beängstigend."

Die Eröffnung des Guggenheim-Museums, es konnte ohne Mordfall realisiert werden, ist fast auf den Tag genau 17 Jahre her, und Frank O. Gehry, eigentlich Frank Owen Goldberg, heute 85 Jahre alt, ist seitdem ein gefragter Mann für Museen, Konzerthäuser und staniolpapiergeknüllte Luxusbauten aller Art. Zu seinen letzten großen Würfen zählen die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles, der Novartis-Campus in Basel sowie der 76-stöckige Wohnwolkenkratzer "New York by Gehry" in Lower Manhattan.

Bilbao-Effekt

Und jetzt die Fondation Louis Vuitton. Schuld daran ist der Bilbao-Effekt, dem Bernard Arnault, Vorsitzender des Pariser Mode-Koffer-Champagner-Cognac-Luxushauses LVMH, vollends erlegen ist. So etwas wolle er auch haben, meinte er damals, direkt nach seinem Guggenheim-Besuch in der baskischen Hauptstadt.

Und weil Monsieur Louis Vuitton nicht nur ein Mann der großen Worte, sondern vor allem der großen Taten ist, wie auch die sukzessive Einverleibung der Luxusmarken Fendi, Donna Karan, Marc Jacobs, Bulgari, Hublot und aktuell 22,6 Prozent am Konkurrenten Hermès beweist, griff er zum Telefonhörer, lud Gehry zu sich ins Büro und gründete 2006 die Fondation Louis Vuitton, die die private Leidenschaft des Kunstsammelns nun auf eine größere, öffentlich zugängliche Plattform heben soll.

In Neuilly-sur-Seine, auf halbem Wege zwischen Paris und La Défense, liegt der Central Park der Pariser, der Bois de Boulogne. Direkt an der Avenue du Mahatma Gandhi, nur wenige Schritte vom einstigen Kinderzoo Jardin d'Acclimatation entfernt, stand bis vor wenigen Jahren eine Bowlinghalle, die, wie sich Bernard Arnault sicher war, niemand vermissen würde, wenn sie nicht mehr da wäre.

"Ich hatte Tränen in den Augen", erinnert sich der eingeflogene Frank O. Gehry, als er zum ersten Mal das Grundstück betrat. Nicht der abgerissenen Bowlinghalle, sondern der Geschichte dieses Ortes wegen. "Wir standen mitten im Jardin d'Acclimatation, und ich musste an all die außergewöhnlichen Menschen denken, die in diesem Garten früher als Kinder gespielt haben. Vor allem aber dachte ich an Marcel Proust." Hier ließ der französische Schriftsteller einige Episoden seiner Suche nach der verlorenen Zeit spielen.

Ein Zitat verlorener Häuser

Gehry fand, was Proust suchte. Er ließ sich von den gläsernen Ingenieursbauten inspirieren, die hier im 19. Jahrhundert errichtet wurden und lange Zeit den Garten krönten, vom Planarium und vom nicht minder beeindruckenden Palais d'Hiver. Eine gläserne Konstruktion also müsse es sein, ein Zitat der verlorenen Häuser, darin waren sich der Bauherr und sein Architekt bald einig, und so wurde jenes Riesending aus dem Erdboden gestampft, das heute einen ganzen Hektar groß ist und imposante 46 Meter in den Himmel ragt.

Auf den ersten Blick wirkt die Fondation Louis Vuitton wie ein explodiertes Palmenhaus. Wie ein Albino-Marienkäfer, der den Panzer geöffnet hat und nun zum Flügelschlag ansetzt, um vom Erdboden abzuheben, was ihm aufgrund des Gewichts jedoch verwehrt bleibt. Oder aber, um mit den Worten Gehrys zu sprechen, wie ein Segelboot mit zwölf riesigen Glassegeln, die sich aufspannen und sich mächtig im Winde blähen. Im Rumpf, "in diesem weißen Zeug, in diesen Eisbergen" (O-Ton Gehry), befinden sich die eigentlichen Ausstellungsflächen und Galerieräume, elf Stück an der Zahl, ein Eingeständnis an die Banalität des Funktionierens, denn: "Glas ist gut, aber man kann keine Kunst an eine Glaswand hängen."

Ohne die gläsernen Segel würde das Haus entblößt wirken. Wie ein Bilbao ohne Staniolpapier. Mit den Segeln jedoch, die mittels atemberaubender Stahlträger und Holzleimbinder vom Haus auf Distanz gehalten sind, präsentiert sich das Privatmuseum in voller Pracht. Alles andere ist Luft, ist Show, ist Konstruktion.

Hauseigenes Software-Programm

"Nein, nicht nur", sagt eine Pressesprecherin des Hauses. "Die Glassegel dienen in erster Linie der Bauphysik, denn sie verschatten das Gebäude und sammeln auf einer großen Fläche Regenwasser ein." Dank Wassernutzung und Geothermie konnte der Energiebedarf des Gebäudes um 25 Prozent reduziert werden. Unterm Strich steht die Zertifizierung HQE (Haute Qualité Environmentale), ein Äquivalent zum amerikanischen LEED Gold.

Rund 3600 gekrümmte und gewölbte Glasplatten, deren Form in Gehrys hauseigenem Software-Programm "Digital Project" ermittelt wurde, waren nötig, um die riesigen Segel zu hissen. Aufgedruckte, kaum sichtbare Pünktchen verleihen dem Glas seinen leicht trüben, wolkigen Schleier. Die weißen Eisberge hingegen sind mit Ductal ummantelt, einem Betonwerkstoff, der mit Mikrosilikaten und millimeterlangen Stahlspänen bewehrt und auf diese Weise hochfest ist. Und hochteuer. 19.000 dieser Ductal-Platten zieren die Fondation.

Die kolportierten Gesamtbaukosten belaufen sich auf über 110 Millionen Euro. Über Kosten jedoch wolle man lieber nicht sprechen. Kein Kommentar. Auch zu den künftig ausgestellten Exponaten sowie zur gesamten Sammlung der Stiftung, wozu etwa Werke von Richard Prince, Jeff Koons und Ellsworth Kelly zählen sollen, hüllt man sich vor Eröffnung des Museums in eisernes Schweigen. Ein Museum von 1945 bis zur Gegenwart wolle man sein, so viel ist sicher. Das Spiel der Verknappung, der Verexklusivierung von Ware und Wissen beherrscht die Maison LVMH wie aus dem Effeff.

Die Fondation Louis Vuitton, die per Vertrag 2062 ins Eigentum der Stadt Paris übergehen wird, ist ein weiterer Meilenstein für Frank Gehry, der, obwohl er sich schon längst davon distanziert hat, von den meisten immer noch als Dekonstruktivist bezeichnet wird. Tatsächlich aber entwickelte sich Gehry zuletzt zum Haute-Couture-Architekten, der seine zerknüllten, komplizierten Kollektionen geschickt an große Firmen und Mäzene zu verkaufen weiß.

Erfolgreicher Nebenjob

Seine Trümpfe spielt der ehemalige Truck-Fahrer und Pritzker-Preis-Träger, der es als einziger Architekt der Welt geschafft hat, einen gelben Gastauftritt bei den Simpsons hinzulegen, längst nicht mehr als Entwerfer aus, sondern als Konstrukteur, als Techniker, als Ermöglicher von Visionen und Utopien.

Für den Bau des Guggenheim-Museums in Bilbao ließ er eine Design-Software, die in der Flugzeug- und Automobilindustrie verwendet wird, zu seinen Zwecken adaptieren. Das war ihm nicht genug. Und so gründete er 2002 sein Imperium Gehry Technologies (GT), das sich auf die Entwicklung und Berechnung von komplizierten Bauwerken spezialisiert hat. Zu seinen Kunden zählen Zaha Hadid, Jean Nouvel und Coop Himmelb(l)au. Erst im September verkaufte er GT für eine unbekannte Summe an das US-Technologieunternehmen Trimble.

Das nächste Entwurfsprojekt ist noch unter Verschluss. Es ist eine Handtasche. Für Louis Vuitton. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 11.10.2014)