Wollten Sie immer schon wissen, wie man Bärentatzen zubereitet und warum man sie am besten nur im Frühjahr isst? Wie man einen Igel brät? Was man aus einem Elefantenfuß kochen kann? Und wie sich eine Robbe in den Teigmantel packen lässt? Antworten auf all diese Fragen finden Sie in Werner Fischers "Köstlichkeiten Internationaler Kochkunst", dem vielleicht unvoreingenommensten Kochbuch, das je erschienen ist.

"Obwohl ich selbst Küchenmeister mit Erfahrung bin, war ich aufs höchste überrascht, was Werner Fischer als weitgereister Fachmann uns Berufsköchen noch an Einmaligem zeigen kann", schreibt ein Kollege Fischers im Vorwort. Er übertreibt nicht. Fischer war in den 1960er- und 70er-Jahren Chefkoch des Ritz in Westberlin, erkochte für das Restaurant angeblich einen Michelin-Stern und zählte etwa Herbert von Karajan oder Walt Disney zu seinen Fans. Außerdem muss er sehr viel gereist sein.

In seinem Buch finden sich Rezepte aus Madagaskar und den "Südseeinseln", von Äthiopien bis Kanada. In Berlin besorgte er sich seine ausgefallenen Zutaten, indem er alte Zootiere verkochte oder bei Spezialitätenhändlern in den USA oder Afrika orderte – manche Gerichte mussten drei Wochen im Vorhinein bestellt werden.

Foto: Tobias Müller

Manche der Rezepte im Buch – siehe unten – wirken mindestens so unglaubwürdig wie Karl May, vorgetragen werden sie stets mit großem Ernst und Gewissenhaftigkeit. Unter anderem finden sich im Inhaltsverzeichnis "Schildkröten-Parfait", "Bärenfleischtorte", "Robbenfilet, im Teig gebacken", "Zebuhöcker mit Bittermelone", "Möwenrührei nach Großmutterart", "Gazelle mit Gänseleber", "gebratenes Gürteltier" oder "Kamelkeule El Achmed".

Gebratenes Gürteltier
Foto: Tobias Müller

Daneben schreibt Fischer aber auch durchaus modern anmutende Rezepte wie Ku-A-Waare (Gerichte von den "Südseeinseln", die in Baumstämmen, Bambusrohren oder Kürbissen gegart werden), Jus (okay, aus Bär), der mit einem brennenden Tannenzweig aromatisiert wird, oder eine Anleitung zum Fermentieren von Zwiebeln für das "abessinische Gericht" Harrla ke, vergorene Zwiebel in Maniokbrei. Ebenfalls vertreten: ein frühes deutsches "Rezept" für Sashimi (hier "Shashimi") vom Karpfen und eine Beschreibung von Dim Sum.

Robbenfilet, in Teig gebacken
Foto: Tobias Müller

1971, kurz nachdem das Buch erschien, war das alles durchaus gesellschaftsfähig: "Köstlichkeiten Internationaler Kochkunst" gewann die "goldene Feder" beim literarischen Wettbewerb der gastronomischen Akademie Deutschlands.

Elefantensuppe
Foto: Tobias Müller

Nun ist es keinesfalls nachahmenswert, seltene Tiere zu verkochen (außer unter recht speziellen Umständen), und Fischers Serviervorschläge sind auch nicht mehr ganz up to date. Das Schöne an diesem Buch ist seine bedingungslose Offenheit gegenüber Neuem und Fremden, das Ernstnehmen des scheinbar Skurrilen und Exotischen, die Liebe zu den günstigen Teilen des Tiers und die Selbstverständlichkeit, mit der hier die ganze Natur als potenziell essbar und köstlich betrachtet wird. So war Fischer wohl einer der Ersten, die in Deutschland in einem Nobelrestaurant Heuschrecken auf die Karte setzten. Ich habe mich in das Buch verliebt, als ich es erstmals hier in Händen gehalten habe. Hier zwei – kuriose – Auszüge.

Igel auf bosnische Art

"Die Bosniaken antworten dem Fremden, nach dem Geschmack von gebratenem Igel befragt, mit den Worten: "Jez tamo jez ovamo ja zelien on trci meni popreko". Es bedeutet fast wörtlich das gleiche wie: "Igel hin – Igel her, ich wünsch, es läuft mir einer quer". (Es folgt eine längere Passage über den Igel im Allgemeinen, die ich mir hier spare)

Wegen des relativ geringen Fleischanfalls sind zu einer Herstellung immer zwei bis drei Igel nötig. (Es folgt eine längere Passage darüber, wie man aus der Igelhaut eine Hülle für den Braten bastelt, die ich mir hier ebenfalls spare) Das Igelfleisch selbst wird von allen Knochen und Knorpelteilen befreit und in Schafsmilch mit Lorbeerblatt und Knoblauchzehen gelegt. Die Abfälle brät man an und zieht einen kurzen Fond daraus, den man zum Braisieren kleiner, mit einem Tuch gepresste Kohlköpfe verwendet. Die Lebern der Igel werden durch ein Sieb gedrückt. Wenn man von dem Richtmaß 600 Gramm schieren Igelfleisches ausgeht, werden 100 Gramm frische Butter und 100 Gramm ausgelassenes Räucherspeckfett schaumig gerührt, wobei nach und nach sechs rohe Eigelb und zuletzt das Lebermus untergerührt werden.

Foto: Tobias Müller

Zu dieser Masse gibt man nun so viel frische Weißbrotkrumen, bis sie sich wie ein weicher Teig anfühlt, und würzt mit Salz, Pfeffer Paprika, Thymian und ein wenig Zwiebelsaft. Es ist auch üblich, ungefähr zwei Esslöffel ganz klein geschnittenen Sir (ein weißer Schafskäse) unter die Masse zu geben. (…) Das Igelfleisch wird sorgfältig abgetrocknet, leicht gesalzen und mit frisch gemahlenem Pfeffer bestreut. Ein Zerschneiden der schon kleinen Fleischpartien erübrigt sich. Beide Teile werden nun mit der Hand zusammengemischt und geknetet und zu ovalen Bällen geformt.

Sollte die Masse zu weich sein, so gibt man so viel Brotkrumen, bis die gewünschte Bindung erreicht ist, hinzu. Eine kleine, ovale und glasierte, irdene Bratpfanne wird mit Butter ausgestrichen und die Fleischmasse darin in einem sehr heißen Ofen, am besten in einem Bäckerofen, gebraten. Nach dem Bratvorgang lässt man das Geschirr außerhalb des Ofens noch 15 Minuten ruhen und nimmt den Igelbraten, der von allen Seiten schön braun sein muss, aus der Pfanne.

Jetzt kann er im Ganzen oder auch geschnitten angerichtet werden. In beiden Fällen wird er aber mit der vorher präparierten Stachelhaut wie mit einer Kappe bedeckt. (…) Das überflüssige Fett aus dem Bratgeschirr wird abgegossen und der Bratensatz mit etwas Jus verkocht. Wie das Bild zeigt, können Macairekartoffeln und die erwähnten Kohlköpfen als Beilage dienen.

Bärentatzen

Die vielgerühmten Bärentatzen sind durchaus keine weltweite überall bekannte und begehrte Spezialität. Im Gegenteil, vielerorts werden sie mit der Bärenhaut zu Schmuckfellen präpariert oder einfach als wertlos weggeworfen. Nur in Japan, China und und aus den Himalayagebieten sind einige, doch keinesfalls schmackhafte Gerichte oder suppenartige Speisen von Bärentatzen bekannt. Die immer etwas legendär anmutende Erzählung von delikaten Bärentatzen haben einen ganz anderen Hintergrund. Bekanntlich halten alle Bären eine Art Winterschlaf, vielleicht besser gesagt eine Winterruhe. In dieser Zeit bringen sie auch ihre Jungen zur Welt und bauen gleichzeitig das überflüssige Fett ab, weil sie eine Nahrung aufnehmen.

Das Wichtigste jedoch ist, dass sich während der Ruhezeit eine Häutung der Tatzensohlen vollzieht. Das Tier hilft durch fortwährendes Lecken an den Sohlen, den Prozess zu beschleunigen. Die nachwachsende Haut und die darunter liegenden Muskelballen sind dann zart und sehr schmackhaft. Die Bärentatzen haben also für die Küche nur dann Bedeutung, wenn das Tier am Ende der Winterzeit, und bevor es große Wanderungen zur Nahrungssuche unternommen hat, geschossen wurde.

Die Bewohner Georgiens wissen das sehr genau (…). Einem befreundeten Koch aus Jerewan verdanke ich folgende Schilderung von der Zubereitung der "Nowije medweschije lapij", was wörtlich übersetzt "neue Bärentatzen" heißt und auch in seiner Heimat nicht etwa ein Alltagsgericht, sondern auch dort eine besondere Delikatesse ist.

Die Tatzen werden oberhalb des Fußgelenks mitsamt dem Fell abgesägt (…). Nach längerem Liegen im oft zu wechselnden warmen Wasser werden sie mit einem Rasiermesser regelrecht rasiert. Die Krallen werden bis zum Gelenk mit einem kurzen, starken, spitzen Messer herausgetrennt. Als Grundlage hat man nun zwei kleinere Vordertatzen und und zwei größere Hinterfüsse. Die umhüllende Haut, das Muskelfleisch und die Sohlenpolster der Vordertatzen werden gründlich von dem Knochengerüst getrennt. Die HInterfüße jedoch bekommen auf der Schmalseite einen umlaufenden, tiefen Einschitt und werden von da aus als eine Ober- und Unterdecke von dem Knochengerüst getrennt Die Knochen aller Tatzen werden gehackt, in Bärenfett angebraten und mit Kwas (vergorenes Getränk, gebraut aus altem Brot und Wasser, Anm.) und einem kräftigen Schuss einheimischen Weines zu einem kurzen Fond ausgekocht.

Foto: Tobias Müller

Die Haut- Fleisch-, und Muskelhüllen aller vier Tatzen werden mit der Außenseite auf den Tisch gelegt. Wenn die Arbeit richtig gemacht wurde, so sind das vier halbe Hinterfußteile und zwei ganze Vorderfußteile. Die Innenseiten werden stark mit Pfeffer, feingestoßenem Dillsamen, Salz und einem breiigen Gemisch von feingeriebenen, rohen roten Rüben und Meerrettich bestrichen und so gewürzt. Zuletzt streut man noch getrocknetes und zu Reiskorngröße zerkleinertes russisches Schwarzbrot über alles, um Feuchtigkeit und Säfte zu binden. Die beiden Vordertatzen werden nun geschickt auf je einer Hälfte der geteilten Hinterfüße platziert und mit der anderen Hälfte bedeckt.

In einem eisernen Geschirr, in das die Bärentatzen gerade noch hineinpassen, wird der Boden mit Bärenfett bestrichen und vollkommen mit Zwiebel und Möhrenscheiben ausgepolstert. Die beiden Bärentatzen werden daraufgelegt und wiederum mit dem gleichen Gemüse abgedeckt. Mit einer etwas kleineren Eisenplatte und einem schweren Stein wird der Inhalt stark gepresst. Ein wenig von dem gekochten Fond wird angegossen und die Tatzen für zwei bis zweieinhalb Stunden braisiert. Während dieser Zeit soll nach und nach der restliche Fond hinzugefügt werden. Die Tatzen müssen jedoch am Ende der Braisierzeit trocken im Geschirr liegen. Damit ist der erste Zubereitungsschritt abgeschlossen. In mit Wein getränkten Tüchern lassen sich die Tatzen für mehrere Tage an einem kühlen Ort aufbewahren.

Bärenfleischtorte
Foto: Tobias Müller

Der zweite Vorgang ist der, dass man die Tatzen an der Seite eines mäßigen Grillfeuers, welches man durch öftere Zugabe von frischen , würzigem Nadelholz und Lorbeerzweigen zur kräftigen Rauchentwicklung veranlasste, langsam erwärmt und gleichzeitig anräuchert.

Eine Krustenbildung muss verhindert werden. Ein Gemisch aus trockenem, hellblond gerösteten Mehl, gemahlenem Ingwer, Zimt, und ein wenig Puderzucker wird hergestellt und die nunmehr durch und durch erhitzten Bärentatzen darin gewälzt. Man serviert sie trocken und isst nur dicke, mit rohem Rote-Rüben-Saft angesetzte Smetana (eine Art Sauerrahm, Anm.) dazu. " (Tobias Müller, derStandard.at, 12.10.2014)

Zebuhöcker mit Bittermelone: "Die Höcker des Buckelrindes, wie das Zebu auch genannt wird, zählen auf der Insel Ceylon zu den großen Festtags-Spezialitäten. (…) Der Höcker ist von eigenartiger, marmorierter Struktur, dessen Gewebe man weder als Fleisch noch als Fett oder Muskel bezeichnen kann. Vielleicht ist die Substanz entfernt mit der Thymusdrüse eines ausgewachsenen Kalbes zu vergleichen"
Foto: Tobias Müller