Die Befürchtungen einer Bürgerinitiative dürften zutreffen: Das Wohnbauprojekt am Marchfeldkanal wird realisiert. Die Ziesel werden die Bauflächen aber erst in einigen Jahren freiwillig verlassen.

Foto: Standard/Alois Pumhösel

Wien - Wird über die Köpfe einer streng geschützten Tierart hinweg ein Wohnbauprojekt realisiert? Das ist die Befürchtung einer Bürgerinitiative in Wien-Floridsdorf, die sich mittlerweile seit mehreren Jahren gegen das geplante Wohnbauprojekt am Marchfeldkanal einsetzt - und nicht nur im Wiener Tierschutzverein einen Unterstützer findet, sondern auch in allen Bezirksparteien, ausgenommen der SPÖ.

Ziesel, die hamsterähnlichen Tiere mit Knopfaugen und kurzen Beinchen, gelten in Österreich und EU-weit, im Rahmen der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH), als streng geschützte Tierart. Sie dürfen weder getötet noch gefangen noch gestört werden.

Dass nun die Sieger des Bauträgerwettbewerbs für die 950 geförderten Wohneinheiten, die auf dem jetzigen Zieselfeld entstehen sollen, präsentiert wurden, erhitzt die Gemüter aufs Neue. "Warum wird ein Wettbewerb durchgeführt, wenn unklar ist, ob überhaupt gebaut werden darf", ärgern sich Kritiker. Die Bauträger geben eine simple Antwort: "Wenn die Genehmigung einmal da ist, dann ist schon alles vorbereitet", sagt Peter Fleissner, Geschäftsführer der Kabelwerk GmbH, die das Grundstück hinter dem Heeresspital 2008 gemeinsam mit der Donaucity Wohnbau AG kaufte.

"Sanfte Umlenkung" der Nager

Die Genehmigung könnte laut Ilse Hoffmann aber noch mehrere Jahre auf sich warten lassen. Die mit der ökologischen Aufsicht betraute Verhaltensforscherin von der Universität Wien bemüht sich seit Sommer 2013 in einem Pilotprojekt um die "sanfte Umlenkung" der Nager. Ersatzflächen, die extra zum Grundstück dazugekauft wurden, sollen für die rund 230 Ziesel so attraktiv gestaltet werden, dass die Tiere freiwillig dorthin wandern und somit die Baufläche verlassen. Hoffmann glaubt, dass das Pilotprojekt erfolgreich sein, aber mindestens vier Jahre dauern wird. Ein Baustart wäre also frühestens 2017 möglich, und Garantien gebe es sowieso keine, sagt die Forscherin im Standard-Gespräch.

Die Bauträger allerdings sehen das anders. Einerseits lassen sie wiederholt verlauten, dass sie sich an die naturschutzbehördliche Bewilligung der Wiener Umweltschutzabteilung MA 22 halten würden. Diese besagt, dass mindestens 50 Prozent der Ziesel die Ersatzflächen angenommen haben müssen, bevor gebaut werden darf. Andererseits rechnen sie damit, dass ein Baustart schon 2015 möglich wäre: "Sobald es irgendwo auf dem Grundstück eine zieselfreie Fläche gibt, können wir mit dem ersten Bauabschnitt beginnen", sagt Fleissner gegenüber dem Standard.

Beschwerde bei EU

Vor diesem Szenario warnt die Bürgerinitiative. Nach und nach werde das Feld verbaut, die Ziesel aus ihrem Lebensraum zurückgedrängt und gegen Naturschutzgesetze verstoßen werden, erklärt Lukas Mroz von der IGL Marchfeldkanal. Erschwerend kommt hinzu, dass neben dem Zieselfeld eine weitere Fläche verbaut werden soll, die von den Zieselregelungen ausgenommen ist.

Die Bürgerinitiative reichte deshalb schon 2013 eine Beschwerde bei der EU-Kommission ein, die ein Vorabentscheidungsverfahren gegen Österreich einleitete. Ob es in einem Vertragsverletzungsverfahren münden wird, muss noch entschieden werden.

MA-22-Leiterin Karin Büchl-Krammerstätter sieht dem gelassen entgegen. Sie sei überzeugt, dass die Vorgehensweise vor der EU-Kommission halten werde. Die Bauträger hätten sich bisher immer an die Regeln gehalten. Die Befürchtungen der Bürgerinitiative teile sie deshalb nicht. Sollte auf der Fläche neben dem Zieselfeld gebaut werden, müsste eine Pufferzone von mindestens 50 Metern eingehalten werden. Und derzeit dürfe sowieso überhaupt nichts passieren, denn die Ziesel befinden sich seit zwei Wochen im Winterschlaf. (Christa Minkin, DER STANDARD, 9.10.2014)