Die Grünen haben in Österreich eine Zweidrittelmehrheit. Sozusagen. Mit dem Einzug in die Vorarlberger Landesregierung sind sie in sechs von neun Landesregierungen vertreten. Da schaut die SPÖ, die lediglich in fünf Landesregierungen als Regierungspartei mitzureden hat, auf regionaler Ebene vergleichsweise bescheiden aus. Das ist ein bemerkenswerter Erfolg für die Grünen. Gerade 2013 hat mit den Wahlergebnissen in Tirol, Salzburg und Kärnten einen echten grünen Schub gebracht. Und jetzt Vorarlberg. Man könnte meinen, die Grünen übernehmen schleichend die Macht im Land. Und auf dem Land. 30 Jahre, nachdem die Grünen das erste Mal in einen Landtag einzogen - in Vorarlberg -, scheinen sie heute in der politischen Mitte Österreichs angekommen zu sein.

Die Grünen sind nicht sexy und attraktiv, sie sind nicht frisch und rotzig, sie sind nicht rebellisch und alternativ. Sie sind effizient, pragmatisch und strebsam, klug und machtbewusst. Die Grünen wurden domestiziert. Oder haben sie Österreich domestiziert?

Abgesehen davon: Die Grünen gibt es nicht. Es sind in Tirol und Vorarlberg andere Grüne als etwa in Salzburg, in Kärnten und Oberösterreich oder in Wien. Dass die Grünen fünfmal mit der ÖVP und nur zweimal mit der SPÖ (in Wien und Kärnten) kooperieren, ist auch kein Zufall. Dass die Grünen im Westen des Landes stärker im bürgerlichen Lager und im konservativen Milieu verankert sind als etwa in Wien, wo die ideologische Ausrichtung nach links eine größere Rolle spielt, ist ein altbekanntes Stereotyp, deswegen aber nicht falsch. Die vereinfachende Schubladisierung als "Öko-Partei" stimmt jedenfalls schon lange nicht mehr.

Thematisch haben die Grünen durchaus unterschiedliche Politikfelder besetzt - auch mit unterschiedlichem Erfolg. In Wien haben sie deutliche Akzente in der Verkehrspolitik gesetzt. 365 Euro für die Öffi-Jahreskarte etwa. Oder die "Begegnungszone" Mariahilfer Straße, die zwar PR-technisch ein Fiasko war, sich auf lange Sicht aber als Vorzeigeprojekt erweisen wird, das die Wiener noch lieben werden.

In anderen Ländern ist es den Grünen (noch) nicht gelungen, sichtbare Spuren zu hinterlassen, in Salzburg etwa oder in Kärnten. In Oberösterreich stehen Umweltprojekte im Vordergrund, ebenso in Tirol. Dass dabei immer wieder Reibungsflächen mit der Wirtschaft entstehen, ist logisch - und gut so. Gut auch im Sinne der Sache und der Bürger. Gerade bei überbordenden Tourismusprojekten oder Verkehrsvorhaben braucht es im Sinne des Naturschutzes und der Verhältnismäßigkeit ein Korrektiv. Dafür stehen die Grünen, und hier finden sie abseits ideologischer Vorbehalte Rückhalt bei engagierten Menschen.

Was fehlt, ist die Regierungsbeteiligung auf Bundesebene, darauf scheint der ganze grüne Apparat hinzuarbeiten. So, wie SPÖ und ÖVP derzeit ihre Regierungsarbeit anlegen, dürfte es klar sein, dass nach der nächsten Nationalratswahl 2018 diese Zweierkoalition keine stabile Mehrheit mehr hat. Das wäre dann die Stunde der Grünen - wenn man alle Wenn und Abers mit FPÖ und Neos wegrechnet.

Spannend wird, wie die Grünen auf Bundesebene ihre Oppositionsarbeit bis dahin anlegen - zwischen beinhartem Populismus und konstruktiver Kritik, zwischen peinlicher Anbiederung und inhaltlicher Netzwerkarbeit. Im größer werdenden grünen Kosmos ist vieles möglich. (Michael Völker, DER STANDARD, 7.10.2014)