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Ex-Premier Bojko Borissow bei der Stimmabgabe.

Foto: AP Photo/STR

Sofia/Athen - Die schwarze Acht wird beim Poolbillard je nach Fertigkeit als letzte versenkt. Wie viel Geschick Bulgariens Politiker bei der Regierungsbildung mit ihrem neuen Acht-Parteien-Parlament haben müssen, lässt sich am Tag nach der Wahl an der Zahl der Szenarien ablesen: Minderheitskabinett, breite "Koalition des Kompromisses", rechtsnationale Koalition, große Koalition, Koalition ohne Boiko Borissow, den Wahlsieger und Expremier, oder Neuwahlen noch im Dezember.

"Ich will regieren, ich selbst", kündigte der bullige Borissow am Wahlabend an. Doch die Mehrheit fehlt dem 55-jährigen Mitte-rechts-Politiker. Rund 32 Prozent und vielleicht weniger als 90 Sitze hat seine Partei Gerb (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) erhalten - weit entfernt von den 121 Mandaten, die für eine Alleinregierung notwendig wären.

Kein Bündnis mit Sozialisten

Seither wird im Ausschlussverfahren eine Partei nach der anderen aus dem Koalitionsbillard geschossen: Bündnis mit den Sozialisten von der BSP unmöglich, sagte Dimiter Nikolow, Bürgermeister von Burgas und führender Gerb-Politiker; ebenso mit der Partei der Rechte und Freiheiten (DPS), der Geschäftsleutepartei der türkischen Minderheit; und gleich gar nicht mit Bulgarien ohne Zensur, der Links-rechts-Partei des früheren TV-Journalisten Nikolai Barekow.

Der neue Reformatorenblock (RB), ein Bündnis kleiner Rechtsparteien, darunter jene der früheren EU-Kommissarin Meglena Kunewa, hat es sich auch gleich mit dem Premier in spe verscherzt. Ungeachtet seiner überschaubaren 8,9 Prozent erklärte der Block, eine Regierungsbeteiligung sei nur möglich, wenn Borissow auf das Amt des Premiers verzichte.

Dennoch steht der Reformatorenblock Borissows Partei politisch noch am nächsten. Das neue rechtsnationale Bündnis Patriotische Front käme als dritter Partner infrage, erklärte die Gerb-Politikerin Rumjana Batscharowa - in einer Koalition oder außerhalb. Gemeinsam hätten die drei Parteien um die 127 Stimmen im Parlament in Sofia. Borissow hatte sich bereits während seiner dreieinhalb Regierungsjahre, von 2009 bis 2013, von rechtsgerichteten Politikern tolerieren lassen.

"Wir werden unser Bestes geben, um eine starke Regierung zu erreichen", versicherte Zwetan Zwetanow, der Vizevorsitzende von Gerb. Borissows früherer Innenminister ist in einer Abhöraffäre zu vier Jahren Haft wegen Amtsmissbrauchs verurteilt worden; das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wahlverlierer sind die Sozialisten, die mit 15,4 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit der Wende 1989 einfuhren.

Alles temporär

Beobachter geben keiner Regierung große Überlebenschancen. Alles scheint nur temporär. Es bestehe eine gewisse Möglichkeit für eine "Kompromisskoalition", um die Herausforderungen dieses Winters zu bewältigen, so wurde der Politikwissenschafter Ognian Mintschew zitiert. Dabei geht es um einen Nachtragshaushalt, Geld für Spitäler und Krankenkasse, die dringende Lösung für die faktisch insolvente Corporate Commercial Bank (KTB), deren Anleger - kleine wie große - seit Juni keinen Kontozugang mehr haben. Danach sind wohl wieder Neuwahlen fällig.

Wie schon während der monatelangen Straßenproteste im vergangenen Jahr scheuten sich westliche Botschafter nicht, öffentlich Empfehlungen zu geben. "Die Bulgaren wollen eine große Koalition", erklärte am Wahlabend der französische Botschafter in Sofia gegenüber dem staatlichen Fernsehsender; Reformen vor allem im Justizbereich wolle das Volk, fügte Xavier Lapeyre de Cabanes hinzu. Die für Diplomaten ungewöhnlichen Wortmeldungen gelten als Zeichen des Überdrusses in der EU wegen der stockenden rechtsstaatlichen Reformen im Balkanland. Stärker noch als bei früheren Wahlen schienen die Behörden aber gegen die Praxis des Stimmenkaufs vorzugehen. Es gab mehrere Verhaftungen.(Markus Bernath, DER STANDARD, 7.10.2014)