Der Krieg in Syrien erreicht eine wichtige Schwelle: Nur wenige Tage, nachdem die Anti-IS-Allianz ihre Luftschläge gegen den "Islamischen Staat" (IS) gestartet hat, wird in einem Nachbarland Syriens erstmals über eine Intervention mit Bodentruppen nachgedacht. Die Türkei will jenseits der Grenze einen "Sicherheitsgürtel" errichten. Er hätte die Funktion, die IS von der türkischen Grenze und die neuen Flüchtlinge von türkischem Territorium wegzubekommen, aber auch den Nebeneffekt, die der PKK nahestehenden Kurden der syrischen PYD (Demokratische Unionspartei) besser kontrollieren zu können.

In westlichen Medien werden die türkischen Pläne im Kontext der Erweiterung der Anti-IS-Allianz gesehen, an der die Türkei, nach der Befreiung ihrer von der IS gehaltenen Geiseln, nun voll teilnehmen könne. Man kann die Bedeutung - und die möglichen Folgen - einer türkischen Intervention in Syrien aber nicht begreifen, ohne sich die arabischen Medien anzusehen. Dort ist die Behauptung, dass die Türkei mit der IS kooperiere, um sich ein Stück Syrien anzueignen, fast schon Mainstream.

Da klingen die dem Assad-Regime gegenüber feindlich eingestellten Golfaraber plötzlich genauso wie die syrischen Staatsmedien: neoosmanische Pläne, eine kolonialistische Attacke auf arabisches Land. Dass die Autorisierung des türkischen Parlaments auch für den Irak gelten wird, löst Befürchtungen bezüglich Mossul - das die Türken nach dem Ersten Weltkrieg verloren - aus. Manche Medien stellen eine Verbindung mit angeblichen israelischen Plänen her, am Golan eine ähnliche Zone zu errichten.

Nebenbei hat sich durch die Rede von Präsident Tayyip Erdogan bei der Uno in New York eine veritable diplomatische Krise zwischen Kairo und Ankara entwickelt. Erdogan, der Muslimbrüderfreund, kritisierte einmal mehr die Absetzung von Mohammed Morsi als antidemokratischen Putsch. Ägypten antwortete mit der Auflistung aller demokratischen Defizite der Türkei - und will sich mehr um seine Beziehungen zu Griechenland und Zypern kümmern.

Saudi-Arabien, Schutzherr des Umsturzes in Ägypten, fährt nun seine publizistischen Geschütze auf, um Präsident Abdulfattah al-Sisi beizuspringen. Wie Alliierte in einem für die Region entscheidenden Kampf hören sich Araber und Türken jedenfalls nicht an. Fazit: Die Anti-IS-Allianz steht nicht nur, weil sie bei vielen Sunniten als proiranisch in Verruf ist, auf sehr wackligen Beinen. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 2.10.2014)