Vor lauter Lernen bleibt in der südkoreanischen Leistungsgesellschaft oft keine Zeit für die Suche nach einem Partner, Heirat oder Nachwuchs - die junge Generation ist nach diesen drei Verlusten benannt.

Es ist Samstag im Universitätsviertel von Seoul, doch in Südkorea bietet das Wochenende für viele Studierende keine Verschnaufpause: Im Sekundentakt strömen junge Menschen aus einem gläsernen Hauseingang ins gleißende Licht der Straße.

"Ist leider nichts geworden, aber nächste Woche habe ich noch eine Chance", sagt eine Absolventin der Translationswissenschaft, während sie aus dem Nachhilfeinstitut kommt. Ihren Namen möchte sie nicht gedruckt sehen, denn momentan sei sie arbeitslos, und das sei in Südkorea beschämend. Die 26-Jährige hat sich gerade an einem standardisierten Englischtest probiert, den sie, wie viele andere Zertifikate, vorweisen muss, um sich für den Eingangstest bei der Handelskammer zu bewerben. Ihre Vorbereitung dauert drei Monate, Ausgang ungewiss. Für Südkoreaner ist der Prüfungsmarathon längst nicht vorbei, auch wenn der Abschluss bereits in der Tasche ist.

Während in Österreich niedrige Studierendenquoten seit mehreren Jahren bemängelt werden, führt inSüdkorea gerade der extrem hohe Anteil an Studierenden aktuell zu Problemen: Für die gut qualifizierte Jugend gibt es nicht ausreichend gute Jobs. Trotzdem wird weiterhin stark in die eigene Bildung investiert. Allein zur Vorbereitung für den Universitätseingangstest geben südkoreanische Eltern laut dem nationalen Statistikamt jährlich umgerechnet 14 Milliarden Euro aus.

Die Jugendarbeitslosigkeit im Land ist so hoch wie seit den 1980ern nicht mehr. Acht Prozent erscheinen im europäischen Vergleich moderat, für ein Land mit rudimentär entwickeltem Sozialstaat, in dem die Kinder nach konfuzianischer Tradition für das Wohlergehen ihrer Eltern verantwortlich sind, ist diese Zahl aber alarmierend. Zudem ignoriert die Statistik eine wachsende Gruppe, die sich von der aktiven Arbeitssuche verabschiedet hat.

Tatsächlich dürfte die Zahl bei über 20 Prozent liegen - besonders Uniabsolventen sind betroffen. Vor drei Jahren hat eine Tageszeitung der heutigen Generation ihren Namen gegeben: Sampo, was sich in etwa mit "drei Verluste" übersetzen lässt.

Keine Zeit für Liebe

Die Bezeichnung beschreibt das Phänomen, dass immer mehr junge Koreaner jegliche Hoffnung aufgegeben haben, einen Lebenspartner zu suchen, jemals zu heiraten, geschweige denn Kinder aufziehen zu können - nicht aus dem Wunsch nach alternativen Lebensentwürfen oder Rebellion gegen die konfuzianische Tradition. Nein, der Kampf um einen guten Arbeitsplatz frisst all ihr Geld und die gesamte freie Zeit.

Am deutlichsten zeigt sich diese Entwicklung in der Geburtenrate, bei der Südkorea von weltweit 224 Staaten an fünftletzter Stelle steht. In Seoul bekommt eine Frau statistisch gesehen nur 0,97 Kinder und ist dabei über 32 Jahre alt.

Laut einer Umfrage einer beliebten Heiratsagentur ist für Südkoreanerinnen der Charakter bei der Partnersuche längst nicht mehr am wichtigsten, und das aus gutem Grund: Bevor die Eltern ihre Erlaubnis erteilen, müssen die Männer eine Wohnung kaufen, die Frauen die Einrichtung besorgen. Sobald die Eltern in Pension gehen, gebietet es die konfuzianische Erziehung, sich um ihr Wohl zu kümmern - auch finanziell. Eine hohe Last, wenn man selbst auf Arbeitssuche ist.

Vor dem Nachhilfeinstitut ist mittlerweile Ruhe eingekehrt. Die 26-jährige Absolventin möchte noch etwas anmerken, bevor sie in der Menschenmenge verschwindet: "In Europa wachsen Studierende mit dem Bewusstsein auf, dass zumindest die Grundbedürfnisse vom Staat abgesichert sind. In Korea ist das undenkbar."

Vor lauter Lernen bleibt in der südkoreanischen Leistungsgesellschaft oft keine Zeit für die Suche nach einem Partner, Heirat oder Nachwuchs - die junge Generation ist nach diesen drei Verlusten benannt. (Fabian Kretschmer aus Seoul, DER STANDARD, 2.10.2014)