Die Leute, die sich rühmten, eine Revolution gemacht zu haben, haben noch immer am Tag darauf gesehen, dass sie nicht wussten, was sie taten, dass die gemachte Revolution jener, die sie machen wollten, durchaus nicht ähnlich sah", schrieb Friedrich Engels 1885. Diese Erkenntnis scheint sich - Gott sei Dank - auch bei der österreichischen Bundesregierung durchzusetzen. Die österreichische Schule benötigt keine Revolution - und die in ihr arbeitenden Schüler und Lehrer schon gar nicht. Evolution ist angesagt.

Ich halte daher das "6-Punkte-Programm" zur Bildung, das nach der Regierungsklausur in Schladming präsentiert worden ist, für sehr erfreulich. Es richtet das Augenmerk auf bestehende Probleme und ihre inhaltliche Lösung - und nicht auf sinnlose bis sinnwidrige Strukturdebatten:

1. Bessere Zusammenarbeit und besserer Übergang zwischen Kindergarten und Volksschule

2. Sprach- und Leseförderung von Anfang an

3. Mehr Entscheidungsmöglichkeiten am Schulstandort

4. Qualitätsoffensive für ganztägige Schulformen

5. Mehr Bewegung für Schüler in ganztägigen Schulformen

6. Initiative Erwachsenenbildung, vor allem zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses

Das Wegschauen, das Gleichbehandeln von Ungleichem und der damit verbundene Raub an Chancen hat Österreich Probleme beschert, an deren Behebung noch Jahrzehnte zu arbeiten sein wird. Nur ein Beispiel: 54,6 Prozent der Volksschüler Wiens sprechen Deutsch nicht als Umgangssprache. In anderen Einwanderungsstaaten ist das Erlernen der Sprache des Einwanderungslandes eine Selbstverständlichkeit, weil unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiche Integration.

Deshalb ist die Formulierung in Punkt 2 so beachtenswert. Hier scheint endlich eine Denkblockade gefallen zu sein, die in der Vergangenheit hunderttausenden Menschen faire Bildungschancen geraubt hat: "Kinder und Jugendliche werden in der Unterrichtssprache Deutsch gezielt gefördert. Schüler/innen mit Sprachdefiziten (sowohl Schuleinsteiger als auch Seiteneinsteiger) sind insbesondere im Ballungsraum in vorbereitenden Klassen in der Sprache fit zu machen, damit der schnellstmögliche Eintritt in das Regelschulsystem gewährleistet werden kann. Hierbei wird schulautonom auf das Umfeld (Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund, Bildungsverbünde von mehreren Schulen in Ballungsräumen) Bedacht genommen."

So viel Vernunft freut natürlich nicht jeden. Die grüne Opposition spricht von einer "Fortschreibung der schwarzen Blockadepolitik" und einer "Bankrotterklärung von sozialdemokratischer Bildungspolitik". Da ich zwar oft nicht einer Meinung mit dem grünen Bildungssprecher bin, ihn aber für einen intelligenten Mann halte, lege ich ihm die Erkenntnis eines Teilnehmers am Wiener Kongress ans Herz: "Opposition ist die Kunst, so geschickt dagegen zu sein, dass man später dafür sein kann" (Talleyrand). (Eckehard Quin, DER STANDARD, 1.10.2014)