Bild nicht mehr verfügbar.

So nicht! Wenn Stadt nur noch wie Stadt aussieht, ist sie nicht mehr Stadt, warnt Saskia Sassen.

Foto: APA/EPA/Gutierrez

STANDARD: Viele Menschen können sich das Wohnen kaum noch leisten. Können Sie's?

Sassen: Ganz gut. Ich lehre an der Columbia University in New York und an der London School of Economics und mache da gutes Geld. Aber das Problem des immer teureren Wohnens ist enorm!

STANDARD: Laut einer Studie der Arbeiterkammer gibt ein Großteil der Österreicher 30 bis 43 Prozent seines Einkommens fürs Wohnen aus. Bei Singles sind es sogar bis zu 59 Prozent. Wie viel ist Ihnen denn das Wohnen wert?

Sassen: Mein Mann Richard Sennett und ich haben dort eine Wohnung, wo wir unterrichten. Ich mag aber nicht, dass da eine Prozentzahl in der Zeitung steht. Das wäre mir unangenehm. Was ich aber sagen kann: Für unsere Wohnung in Manhattan bekommen wir von der Universität pro Jahr 35.000 Dollar Zuschlag, damit wir uns das Leben in der Stadt leisten können. Und ich bin nicht die Einzige. Es gibt Tausende wie mich!

STANDARD: Ist das gerecht?

Sassen: Nein. Mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun. Es zeigt, wie dramatisch die Situation ist und wie die Mittelklasse allmählich verschwindet. Übrigens gibt es solche finanziellen Unterstützungen auch für Polizisten, Feuerwehrmänner, Krankenschwestern und Lehrer, also für all jene Menschen, die als strategisches Personal gelten und die, wenn's brennt, so rasch wie möglich an Ort und Stelle sein müssen.

STANDARD: Die anderen wohnen in Suburbs und pendeln eine Stunde hin und her. Was können wir dagegen tun?

Sassen: Wenn die Politik nicht einschreitet - nicht viel! Ich beobachte seit Jahren ein Phänomen, das ich als "buy-out of urban land" bezeichne, also den Ausverkauf städtischen Raums. Immer mehr Stadt - und da spreche ich nicht nur von Gebäuden, sondern von ganzen Vierteln - befindet sich in privater Hand. Das vielleicht extremste Beispiel ist London. 70 Prozent der Immobilien sind in Besitz von Ausländern. Nur ein Drittel der Stadt gehört Briten. In New York sind die wichtigsten Landmarks ebenfalls in ausländischer Hand. Und soviel ich weiß, gehören auch in Wien Teile der Innenstadt russischen und arabischen Investoren. Das ist beunruhigend. Noch mehr beunruhigt mich aber, dass die wenigsten das wissen.

STANDARD: Was bedeutet das für die Stadt?

Sassen: Sie meinen, was passiert, wenn die ganze Stadt als Spekulationsmasse in privater Hand landet? Dann geht das städtische Leben verloren. Dann schaut es nur noch so aus wie Stadt, dann ist es aber nicht mehr Stadt.

STANDARD: Ihr Vorschlag?

Sassen: Ich habe eine radikale Idee. Am liebsten würde ich in den gefährdeten, immer teurer werdenden Städten eine rote Linie ziehen, innerhalb deren ein weiterer Ausverkauf an Spekulanten und ausländische Investoren unterbunden wird. Das ist natürlich unrealistisch. Da würden mich sämtliche Grundstückseigentümer innerhalb der rot umrandeten Zone brutal lynchen.

STANDARD: Wie könnte das konkret aussehen?

Sassen: In den USA gibt es ein Modell, das nennt sich "eminent domain". Darunter versteht man die Befugnis der öffentlichen Hand, Privatbesitz im Falle öffentlichen Interesses oder nationaler Sicherheit zu enteignen. Meist wird das bei Highway- und Eisenbahnbaustellen angewandt. Manchmal wird dieses Werkzeug aber auch missbraucht. Dann entstehen Shoppingcenter und Büros. Für mich jedenfalls wäre das der nötige Schritt, um den "buy-out of urban land" zu unterbinden.

STANDARD: Um beispielsweise den Wohnbedarf zu decken?

Sassen: Wenn die Politik das Wohnen doch endlich als öffentliches Interesse wahrnehmen würde! Aber das ist in vielen Städten - mit Ausnahme einiger weniger Beispiele wie etwa Wien - nicht der Fall. Die Idee des leistbaren Wohnens ist, wie es scheint, ein sehr altmodisches Modell, das heute niemanden mehr interessiert.

STANDARD: In London wurde Anfang des Jahres eine Mietobergrenze diskutiert. Ein Aufschrei ging durch die Bau- und Immobilienwirtschaft.

Sassen: Ja, da sehen Sie, wir weit wir gekommen sind! Die Rendite wiegt mehr als das Grundrecht des Menschen. Eine Katastrophe.

STANDARD: Glauben Sie, dass Wohnen jemals wieder billiger werden wird?

Sassen: Die Erfahrung zeigt uns, dass es immer auf und ab geht. Wir müssen es schaffen, der Mittelklasse wieder den Vorzug zu geben. Doch bis es so weit ist, ziehen immer mehr Menschen an die Peripherie.

STANDARD: Die Peripherie scheint auch in Wien die Lösung zu sein.

Sassen: Schon einmal hat sich gezeigt, dass die Wiener im neuen Wien nicht gerne wohnen, weil dieses neue Wien zu wenig vom alten Wien hat. Die Donau City ist so ein Beispiel. Und jetzt baut man die Seestadt Aspern, eine Satellitenstadt am Stadtrand. Was soll ich sagen? Wenn man das schon macht, dann müsste man da Kunst und Kultur ansiedeln. Man müsste Künstlern Räume, riesige Räume schenken. Die Ressourcen sind ja da. Und man müsste sie einladen, der Stadt ein lebendiges Gesicht zu geben, sei es in Form von Interventionen, sei es mit Graffitis entlang der U-Bahn. Wir haben schon so viele Fehler in der Vergangenheit gemacht. Jetzt ist es an der Zeit, daraus zu lernen.

STANDARD: Würden Sie jemals an die Peripherie ziehen?

Sassen: Niemals. Ich würde eher höhere Kosten und eine schlechtere Wohnraumqualität in Kauf nehmen, solange ich nicht irgendwo da draußen in den Suburbs leben muss. Der Mythos des suburbanen Lebens, den Amerika in den Fünfziger- und Sechzigerjahren kreiert hat, ist tot. Die Suburbs haben die höchste Selbstmordrate unter frisch verheirateten Frauen in den USA. Sagt das nicht alles? Wann wachen die Stadtplaner und Politiker endlich auf! (INTERVIEW: Wojciech Czaja, DER STANDARD, 27.9.2014)