Andreas Schieder in seinem Büro im Parlament: Das Kunstwerk im Hintergrund ist von einem Graffiti-Künstler namens Keramik. Die kreative Meinungsvielfalt in der Partei sei durchaus vorhanden, auch wenn am Ende immer nur eine Meinung transportiert werde.

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STANDARD: Sie haben mit Daniela Holzinger eine einzige Abgeordnete im Klub, die sich - zumindest nach außen hin - den Luxus einer eigenen Meinung leistet. Alle anderen scheinen streng auf Linie zu sein. Ist das der Klub der angepassten Abgeordneten?

Schieder: Nein, wir haben in unserem Klub 79 Einzelmeinungen: fünf Europaabgeordnete, 22 Bundesräte und 52 Nationalratsabgeordnete.

STANDARD: Nach außen ergibt das praktischerweise immer eine Meinung.

Schieder: Wir haben eine Tradition in der SPÖ: Alle Fragen intensiv zu diskutieren und abzuwägen, aber am Schluss darauf zu schauen, dass man einen Kompromiss und tragfähige Positionen erarbeitet.

STANDARD: Warum sind Klubzwang und Parteidisziplin so streng? Es gibt doch auch in Ihrer Wählerschaft ein viel breiteres Spektrum an Meinungen.

Schieder: Die Oppositionsparteien sind viel strenger in ihrer Meinungsbildung. Die stimmen immer geschlossen ab. Jede politische Fraktion hier im Haus versucht sich eine Fraktionsmeinung zu bilden und diese auch zu vertreten. Das machen wir auch so.

STANDARD: Warum kann man sich nicht auch den Luxus von einander widersprechenden Meinungen leisten?

Schieder: Wir leisten uns den Luxus, dass jeder eine eigene Meinung hat und wir das auch ausdiskutieren. Wir wissen aber auch, dass wir stärker sind, wenn wir unsere eigenen Meinungen zu einer gemeinsamen kombinieren.

STANDARD: Sonja Ablinger ist mit einer abweichenden Meinung aufgefallen, wurde zur Parteirebellin hochstilisiert und in der Folge als Abgeordnete verhindert. Hat die SPÖ Angst vor kritischen Stimmen?

Schieder: Nein, überhaupt nicht. Weder ist jemand, der in Detailfragen andere Positionen vertritt, ein Rebell, noch sind alle, die sich einer gemeinsamen Position anschließen, denkfaul.

STANDARD: Bei Ablinger schien es schon auch darum zu gehen, eine unbequeme Abgeordnete zu verhindern - auch auf Kosten der Frauenquote.

Schieder: Es ging um die Nachfolge auf einer Liste. Der Statutenbeschluss zur Quote ist dabei in Widerspruch zur Wahlrechtsordnung geraten. Es hat sich herauskristallisiert, dass die SPÖ nicht streng genug auf alle Eventualitäten bei Fragen der Nachrückungen geschaut hat. Wir haben daraus gelernt. Wir führen eine Diskussion darüber, wie wir das in Zukunft verhindern können. Wir hatten gerade einen Bundesratsplatz nachzubesetzen, da war eindeutig klar, dass eine Frau nachfolgt. Das war eine bewusste politische Entscheidung.

STANDARD: Werner Faymann gilt als Machttechniker, der nur wenige Vertraute hat und die wichtigen Positionen strategisch besetzt. Sie gelten als sehr loyal, ebenso Doris Bures, die Nationalratspräsidentin wurde. Haben kritische Geister in der SPÖ keinen Platz?

Schieder: Natürlich ist bei uns kritisches Denken vorhanden, nämlich gesellschaftskritisches Denken. Das ist sozialdemokratischer Geist: die Gesellschaft zu analysieren und kritisch zu hinterfragen. Es ist aber auch unsere Aufgabe, nicht nur scharf in der Analyse zu sein, sondern in den faktischen Lebenssituationen der Menschen etwas zum Besseren zu verändern. Realpolitik ist nichts Böses.

STANDARD: Kritik gibt es an der Erstellung des neuen Parteiprogramms, das werde wieder von oben herab diktiert. Wird die Basis nicht eingebunden?

Schieder: Ich halte es für richtig, das Parteiprogramm in mehreren Phasen zu entwickeln. Wo brauchen wir neue Antworten, was hat sich geändert - in dieser Phase sind wir, da steckt schon ein Teil des Weges drin. In einer Phase zwei ist auch daran gedacht, eine öffentliche Diskussion mit der Basis zu führen. Da sind alle, die uns nahestehen, herzlich eingeladen. Dann muss man schauen, wie man dieses Blumenbeet so zusammenführt, dass ein schöner Strauß roter Nelken daraus wird.

STANDARD: Die SPÖ hat sich soeben das Steuermodell des ÖGB und der Arbeiterkammer angeeignet. Warum hat die SPÖ nicht ein eigenes Modell für eine Steuerreform entwickelt?

Schieder: Wir haben unser eigenes Modell vor über einem Jahr vorgestellt.

STANDARD: Und warum übernehmen Sie dann das Gewerkschaftsmodell?

Schieder: Der ÖGB hat ein Modell, das gegenüber dem SPÖ-Modell einen wesentlichen Vorteil hat: Es ist ein breites, von allen politischen Fraktionen akzeptiertes Modell. Alle politischen Schattierungen im ÖGB vom gewerkschaftlichen Linksblock bis zu den Christgewerkschaftern tragen dieses Modell mit. Auf dem Weg zu einem vernünftigen Kompromiss mit dem Regierungspartner ist das ein wesentlicher Schritt. Es sind Aspekte dabei, die mir besser gefallen, es gibt Aspekte, die ich anders entschieden hätte.

STANDARD: Was gefällt Ihnen nicht?

Schieder: Wesentlich ist, dass wir die Entlastung voranbringen. Das brauchen wir konjunkturpolitisch dringend. Die Stärke des ÖGB- Modells ist, dass auch Konservative schwer daran vorbeikönnen, sie haben das mitentwickelt.

STANDARD: Das war keine Antwort auf die Frage. Also: Was gefällt Ihnen nicht?

Schieder: Ich fokussiere jetzt auf das, was mir gut gefällt.

STANDARD: Was das Modell etwas offenlässt, ist die Gegenfinanzierung. Da wurden Beträge hingeschrieben, die nicht nachvollziehbar sind.

Schieder: In dem Modell wird das angesprochen, was notwendig ist. Eine Gegenfinanzierung über einen höheren Beitrag von Vermögenden, eine Gegenfinanzierung durch Strukturbereinigungen und Verwaltungsreform und drittens eine Strukturkomponente innerhalb des Steuersystems selbst.

STANDARD: Bei den vermögensbezogenen Steuern kann Ihr Koalitionspartner nicht mit. Oder merken Sie da schon eine Annäherung?

Schieder: Um das ehrlich zu beantworten: Es steigt in dieser Frage noch kein weißer Rauch auf. Wir haben uns erst einmal darauf geeinigt, dass eine Steuerreform notwendig ist und dass wir uns die Senkung des Einstiegssteuersatzes auf 25 Prozent zum Ziel setzen. Beim Thema Vermögenssteuer stehen die Meinungen noch konträr zueinander. Wir werden das ausdiskutieren müssen. Unser Hauptziel ist die Entlastung. Wenn man das akzeptiert, wird man auch bei der Frage der Vermögenssteuer eine Lösung finden.

STANDARD: Es gibt Vorschläge der Industrie, den Eingangssteuersatz noch niedriger anzusetzen, bei zehn Prozent. Ist das eine Option?

Schieder: Die 38 Prozent mussten wir von Karl-Heinz Grassers selbstgelobter Steuerreform übernehmen. Das war ein vollkommen verrückt hoher Einstiegssteuersatz. Jetzt sind wir auf 36,5 Prozent. Wir müssen auf 25 Prozent kommen. Das ÖGB-Modell beinhaltet auch ein Modell einer Negativsteuer, damit jene Gruppe, die gar keine Einkommenssteuer zahlt, sozial aber stark unter Druck steht, ebenfalls mehr Haushaltseinkommen zur Verfügung hat. Das würde sich auch positiv auf die Konjunktur auswirken.

STANDARD: Unter die 25 Prozent zu gehen steht nicht zur Diskussion?

Schieder: Natürlich sind 20 oder 15 Prozent noch schöner als 25 Prozent. Zehn Prozent wären nochmals schöner. Am schönsten wäre eine Welt, in der wir ohne Lohn- und Einkommenssteuer auskommen. Aber nicht zu dem Preis, dass es dann keine staatlichen Dienstleistungen gibt. Ich glaube, dass 25 Prozent ein vernünftiger und ohnehin schwer zu erreichender Wert sind. Wenn wir das schaffen, wäre das ein schöner Erfolg.

STANDARD: Ihr Kollege Reinhold Lopatka von der ÖVP hat sich kalte Füße geholt, als er gemeint hat, dass man für eine Steuerreform auch kurzfristig einen Anstieg des Defizits für ein, zwei Jahre in Kauf nehmen könnte.

Schieder: Ich würde mein Hauptaugenmerk darauf legen, den Budgetkonsolidierungskurs beizubehalten und innerhalb dieses Kurses die Entlastung zu machen - durch Einsparungen und Gegenfinanzierungen. Ich würde jetzt nicht über ein Defizit diskutieren. (Michael, Völker, DER STANDARD, 25.9.2014)